Mit dem Allgäuer ÖPNV zum B-Schein 12.03.2006, Sonntag Wie am Vortag schon beschlossen brach ich auf ins Allgäu. Das Zugticket hatte ich schon inklusive Reservierung gekauft. Auch wenn ich mit einer anderen Verbindung, bei der ich sogar einmal hätte umsteigen müssen, schneller gewesen wäre, fuhr ich mit der Direktverbindung "Allgäuexpress" um 9:36. Das lag vor allem daran, daß dieser Zug etwas billiger war. Mit der halben Stunde hätte ich ohnehin nichts Vernünftiges mehr anfangen können. Da ich es nicht mehr geschafft hatte eine Unterkunft von zu Hause aus zu buchen, tat ich das halt von Unterwegs per Handy. "Könnten Sie gegen viertel vor elf nochmal anrufen? Ich bin gerade im Schafstall." 11:00 "Um halb sieben werden Sie ankommen? - Hm. Rufen Sie von [meine HandyNr] an? Kann ich Sie gleich nochmal zurückrufen?" 11:15 "Wissen Sie wo das ist? Ja, über die Iller, das erste Haus auf der linken Seite. Bitte klingeln Sie an der zweiten Tür, der Schwiegervater zeigt Ihnen dann das Zimmer. Ich muß da gerade meine Tochter wegbringen." Arme Wirtin. Schwiegerväter, Töchter und Schafe. Ich habe ein schlechtes Gewissen mich bei ihr einzunisten. Sie schuftet rum und ich komme da hin, nur um mir einen lauen Lenz zu machen. Und damit mache ich ihr auch noch zusätzliche Arbeit. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wenn ich auch noch diesen Spottpreis von 16 € / Nacht + Kurtaxe bedenke. Denkt sie daß sich das wirklich lohnt? Ich denke daß die Preise ziemlich kaputt sein müssen. Ja, es stimmt daß das Klo und die Dusche auf dem Flur und zur Gemeinschaftsnutzung sind. Auch handelt es sich nicht um einen Ballsaal oder exqisite Innenarchtektur. Aber 16 €? Ist damit wirklich der Aufwand, den ich verursachen werde, abgegolten? Der Schwiegervater ist etwas wortkarg und muffelig. Ein Bayer eben. Womit hat ein so muffeliges Volk wie die Bayern eigentlich so eine touristikträchtige Landschaft verdient? Ich glaube Tourismus und Bayern wären letztendlich besser dran, wenn man sie voneinander getrennt hätte. Nachdem ich meinen Troß im qietschenden Schrank verstaut hatte, machte ich noch eine kleine Runde durch Fischen. Keine Spur von Schneechaos. Ja, es lag Schnee rum. Überall. Aber nirgenwo mehr als vielleicht einen guten Meter hoch. Also nichts das einen zünftigen Bayern erschrecken könnte. Noch eine Woche zuvor hatte die Bahn sich geweigert ins Allgäu zu fahren, weil dort vier Meter hoch der Schnee läge. Bestimmt hat ein Lausbube einen angolischen Lokführer mit einem besonders hohen Schneemann erschreckt. Dieser ist dann wahrscheinlich durch Lagerfeuerpropaganda auf vier Meter gewachsen und hat der Bahn den Krieg erklärt. Frühe Bettruhe sollte die 8 1/2 Stunden Zugfahrt vergessen lassen. 13.03.2006, Montag Ich habe meine Wirtin kennengelernt. Sie hat mich mit dem anderen Gast, eine Kreuzung aus Nonne und Bibliothekarin an den Frühstückstisch gesetzt. Der dicke Hund gehöre zwar nicht der Nonne, aber es scheint sie ergreift dennoch jedes mal wenn sie hier ist Besitz von ihm. Ich bekam von der Wirtin das wertvollste, das sie mir bieten konnte: die "Walsercard" mit der Lizenz zum Eine-Woch-Bus-Fahren. Inklusive Fahrplan. Leider ist der Fahrplan nach wie vor völlig unnütz, da er allein zum Zweck der Verwirrung entworfen sein zu scheint. Es gibt keine Linien, sondern ein Inhaltsverzeichnis mit Aneinanderreihungen von Haltestellennamen. Doch sind nur die Haupthaltestellen aufgeführt. Von diesen muß man auf die (namenlose) Linie schließen und dann extrapolieren, auf welcher dieser Linien die Zwischenhaltestelle denn liegen könnte, die man nun tatsächlich anfahren möchte. Die Zwischenhaltestellen haben übrigens auch nicht immer Namen. Wenn man einen Busfahrer fragt, dann nennt er einem grundsätzlich entweder eine Abfahrtszeit eines Busses, der nur an Arbeitstagen, oder nur an Wochenenden, oder nur bei Vollmond, wenn das Jahr des Schweins eine Primzahl ist fährt, aber jedenfalls eine Zeit zu der heute kein Bus fährt. Die Frühstücksnonne hat aber wohl einen Plan, der speziell für Fischen ist. So einen muß ich mir auch besorgen. Doch zunächst mußte ich versuchen meine Kleidung flugtauglich zu bekommen. Aus Mangel an Interesse für Wintersport hatte ich den Kauf von Skikleidung so lange hinausgezögert, bis es in Dortmund nichts mehr zu kaufen gab außer einem Paar Handschuhe. Diese waren zwar Megahandschuhe mit herausnehmbaren Innenhandschuhen, aber auch blödsinnig teuer. Ich kaufte sie trotzdem. Ich hatte nämlich die Hoffnung mit zahllosen Stoffschichten meine normale Kleidung winterfest zu bekommen, jedoch war mir klar daß ich mit den Sommerhandschuhen nicht weit kommen würde. Wenn die Hosen nich warm genug wären, würde ich das gewiß einen Tag überleben und mir vor Ort etwas kaufen können. Doch wenn ich an einem Sonntag mit Sommerhandschuhen im Wintersturm stünde, wäre ich verloren. Der Wetterberich drohte mit -17°C. Also legte ich drei lagen lange Unterhosen, zwei Lagen lange Unterhemden, ein normales Hemd, eine Jeans, einen Rollkragenpulli und zwei Paar dicke Socken an. Darüber kam noch meine Funktionsjacke mit abnehmbarem Vließfutter. Im Rucksack hatte ich noch einen Kapuzenschlumpf, eine Regenüberhose gegen den Wind und eine Sturmhaube. Zwei Schritte in der stahlenden Wintersonne und ich war naßgeschwitzt. Mit dem Bus um 9:18 fuhr ich dann nach Bolsterlang. (Der Fahrer des Busses nach Obertdorf bestritt die Existenz von Bussen, die um 9:18 nach Bolsterlang fahren.) Laut Segelflugwetterbericht müßte das Bolsterlanger Horn heute perfekt passen. Das meinten wohl auch zwei Flugschulen. Im Minutentakt wurden die Schüler in die Luft geschubst. Es dauerte eine Weile bis ich die Windhose angelegt, das GPS ans Bein geschnallt, die Kapuze, die Schneebrille und darüber den Helm auf dem Kopf hatte. Die Sturmhaube sparte ich mir vorläufig. Erst sah ich vor lauter gleißendem Schnee fast nix. Dann beschlug meine tolle Schneebrille und ich sah vom Schnee fast nix. Aber bevor ich von der Schneebrille wieder auf meine Sommerflugbrille umstiege, wollte ich der Schneebrille dennoch eine Chance gewähren. Sie ging auch einen Kompromiß ein und simulierte leichten Nebel. Nun gut zum Starten würde das ausreichen und der Fahrtwind würde schon den Nebel verscheuchen. Endlich konnte ich mich zwischen zwei Flugschüler mogeln. Für den ersten richtigen Start im Jahr (abgesehen vom Extremstarkwindgroundhandling am vorherigen Wochenende) legte ich meine Leinen besonders gründlich aus. Ich ging sogar zurück, um ein kaum eingeschlagenes Ohr zu glätten. Mit einem so vorbildlich ausgelegtem Schirm ging ich zuversichtlich den Start an. Der Schnee war schön fest gewalzt und ich konnte fein aufziehen. Hm. Beim Kontrollblick konnte ich mit meiner Winternebelschneebrille kaum den ganzen Schirm bis zur Hinterkante erfassen. Aber was ich sah, das sah gut aus. Also noch ein kurzer Sprint, dann war ich in der Luft und soff ab. Häää? Ich schaute nochmals nach oben, doch konnte ich keine Verhänger oder andere Bösartigkeiten erkennen. Es ging sehr rapide abwärts. War ich in einem Lee? Wo sollte das denn hier her kommen? Andere hätten dann doch auch absaufen müssen. Rücken-/Fallwind? Ja, kurz vor meinem Start gab es das für 20 Sekunden. Aber das hatte ich doch sorfältig abgewartet und war brav gestartet als wieder einwandfreier Vorwind anlag. Es mußte etwas mit dem Schirm sein. Zwei Probleme waren nun jedoch vordringlicher als weiterhin meinen Schirm anzustarren. Einerseits driftete ich ein wenig nach links in Richtung Lift. Andererseits würde ich bei meiner momentanen Sinkgeschwindigkeit kaum über den Buckel da vorne hinweg kommen. Also gegensteuern, vom Lift weg, aber vorsichtig und mit viel Gewichtssteuerung und wenig Bremse. Blöd, das mein Phelix nur so träge auf Gewichtssteuerung reagiert. Je mehr ich jedoch mit Bremse steuere, desto größer mein Sinken und ich brauchte jetzt schon ein Wunder um über den Buckel hinweg zu kommen. Es geschah kein Wunder. Gut, daß der Bereich, in dem ich einschlagen würde blanker Tiefschnee sein würde. Bei dem Sinken und dann letztendlich auch noch gegen eine leichte Steigung - das hätte im Sommer eine harte Landung ergeben. Kurz vorm Einschlag noch mal ordentlich durchgebremst um wenigstens das wenige bißchen Vorwärtsfahrt, das ich überhaupt hatte, zu reduzieren und -plumps- steckte ich im Schnee. Es ist anstrengend im Tiefschnee, in dem man immer wieder bis zum Oberschenkel einsackt, den Schirm zusammenzulegen. Ich konnte mir immer noch keinen Reim auf mein absturzartiges Absaufen machen. Hatte ich vielleicht doch links einen Hänger und den sowohl beim Kontrollblick während des Starts als auch beim Fliegen übersehen? Ich verdammte die nebelige Schneebrille. Aber wie kann den ein Verhänger so heftig sein, daß er ein derartiges Saufen verursacht, jedoch nur ganz leicht in eine Richtung zieht? Welch eine erbärmliche Vorstellung eines B-Schein Aspiranten vor lauter perfekt startenden A-Schein Novizen. Neben der Schneebrille verdammte ich auch mein GPS und meine viel zu warme Jacke und packte all dieses Zeug mit in den Packsack. Die Regenhose behielt ich jedoch an, damit mir der Schnee nicht die Jeans durchnäßte. Mit 20 kg Gepäck auf dem Buckel im Tiefschnee bergauf … Am Startplatz meinten beide Fluglehrer ich hätte einen Sackflug gehabt. Das müsse am Schirm liegen, wann der denn den letzten Check gehabt hätte und ich hätte keine groben Pilotenfehler gemacht. Ich muß nochmal bei Gelegenheit fragen, was denn die feinen Fehler waren. Man riet mir den Schirm nicht mehr zu fliegen und ihn erst checken zu lassen. Toll. In ein paar Tagen habe ich B Schein Prüfung und mein Schirm ist kaputt. Checken lassen kann ich ihn zwar vor Ort, aber das dauert natürlich. Ich brauche einen Ersatzschirm. Flugschule Oase, ich mach Dich reich. Jetzt fehlt nur noch, daß das Tuch hinüber ist, dann kann ich gleich 2000 € für einen neuen Schirm hinlegen. Vorerst ist dieser Flugtag gelaufen. Gesenkten Hauptes trat ich den Rückweg an. Ein entgegenkommender Flieger wies mich freundlicher Weise darauf hin, daß ich in die falsche Richtung ginge. Nachdem ich ihm mein Leid geklagt hatte, meinte er, er habe auch einen Phelix und beim Check würden die nun im Zweifel sowieso bei dem Modell die C Leinen austauschen, da sie aus gutem Grund diese Leinensorte nicht mehr verwendeten. Habe ich schon erwähnt, daß das Busfahren im Allgäu ein ganz eigenes Abenteuer für sich ist? Diesmal war es recht harmlos. Laut des Quotienten der Anzahl der gelb markierten Haltestellen und der Quersumme der dort aufgeführten Abfartszeiten durfte es höchstens eine dreiviertel Stunde dauern, bis der nächste Bus in Richtung Flugschule ging. Macht nichts - da war ohnehin gerade Mittagspause. Ich nutze die Zeit dazu ein wenig Dampf abzulassen. Unter meiner absolut atmungsinaktiven Plastikfolienregenüberhose hatte sich meine Jeans gründlich vollgesogen. Das lag nicht daran, daß meine Regenhose undicht wäre, sondern an all den Ausdünstungen, die ich durch die Anstrengungen beim Befördern meines Gepäcks in bergiger Landschaft von mir gegeben hatte. Auch mein Hemd war völlig durchweicht. Ich zog also Jacke und Regenhose aus und dampfte. Faszinierend. Ich dampfte tatsächlich ganzkörperflächig richtig dicke Nebelschwaden. Feine Faserhäärchen, die aus dem Stoff herausragten kühlten wohl schneller ab und ließen den Dampf kondensieren. Meine schwarze Jeans war im Nu von einem Flaum aus weißen Tautröpfchen bedeckt. Die Regenhose und Jacke, die ich auf links gezogen auf der Haltestellenbank verteilt hatte, dampften auch ohne aktive Bioheizung eine Weile selbstständig. Obwohl ich nicht ganz trocken gedampft hatte, packte ich ein paar Minuten vor der Abfahrtszeit, die das Fahrplanorakel prognostiziert hatte. Das nahm wohl der Bus zum Zeichen, auch ein paar Minuten zu früh zu kommen. Ich hoffte nur daß es auch der richtige Bus war. Zu wissen, daß meine gewünschte Zielhaltestelle den Namen "Talholz" trug, nützte dabei übrigens gar nichts - sie existierte nämlich nicht im Universum der Fahrpläne. Vermutlich würden auch die Busfahrer die Existenz von "Talholz" verleugnen. Weiß man jedoch im rechten Moment den Haltewunschknopf zu betätigen, dann hält der Busfahrer genau an dieser Haltestelle. So kam ich tatsächlich bei der Flugschule an - eine Stunde vor Ende deren Mittagspause. Also noch eine Runde dampfen. Als die Schule dann endlich wieder besetzt war, klagte ich dem Spund an der Theke mein Leid. Er nahm meine Phelix-Möhre zum Check entgegen und versuchte mir Mut zu machen, daß es wahrscheinlich nur an vertrimmten Leinen läge. Die könne man dann auswechseln. Vielleicht könne er mir morgen schon mehr dazu sagen. Mittlerweile war es halb drei geworden. Das Fahrplanorakel gab keine Hinweise darauf, daß in absehbarer Zeit ein Bus zur Hörnerbahn fahren würde. Halb fünf macht die Hörnerbahn zu. Mit einem Fußmarsch würde ich sie nicht vor halb vier erreichen. Mehr als ein einzelner Abgleiter wäre da also nicht mehr drin gewesen und ich hatte eh die Faxen dicke. Daher verzichtete ich darauf mir schon für diesen Tag einen Leihschirm geben zu lassen und beschloß statt dessen lieber nach Oberstdorf zu fahren und mein Dampfproblem zu beseitigen. Doch nun betrat ich Level II im der ÖPNV-Welt des Allgäu: es gab an der Kreuzung hier etwa vier Haltestellen, zwei hießen Talholz (Hin- und Rückrichtung) und waren auf keinem Plan verzeichnet. Die anderen beiden Haltestelle hatten vorsichtshalber gar keinen Namen. Eine vorbeifahrende Langläuferin interpretierte meine ratlose Körperhaltung richtig und bot Hilfe an: sie kenne das, der Plan sei etwas verwirrend. Leider kam sie mit dem Fahrplan noch schlechter zurecht als ich und suchte auf der Seite mit den Sonntagsbussen. Andere Langläufer kamen hinzu und bildeten einen Stau in der Loipe. Es dauerte nicht lange und es entstand eine gesellige Selbsthilfegruppe. Wie bei den meisten Selbsthilfegruppen wurde das Problem zwar nicht gelöst, aber es war trotzdem nett darüber gesprochen zu haben. Ich beschloß zu Fuß zu gehen. Dank GPS konte ich auch leicht einen Pfad ausmachen, der nach Fischen führte. Verblüfft stellte ich unterwegs dreierlei fest: 1. Der Weg war mir bekannt. Ich hatte ihn schon mal im Sommer benutzt. 2. Obwohl der Weg kaum mehr als ein besserer Trampelpfad war, war er geräumt worden. 3. Mir kam ein Bus nach Obermaiselstein entgegen. War das etwa die Linie, die auch jene mysisch namenlose Haltestelle (inoffiziell) anfuhr, die nicht "Talholz" hieß? Egal. Ich lief blasenfrei nach Fischen-Au, legte meinen schirmlosen Gleitschirmsack ab und machte mich auf nach Oberstdorf zum Frustshopping. Nahezu alle Wege per Bus oder Bahn nach Oberstdorf führen über Fischen. Am Bahnhof Fischen stellte sich heraus, daß genau zwei Minuten vor dem Zug nach Oberstdorf auch ein Bus nach Oberstdorf fuhr. Laut Plan kam der Bus auch genau zwei Minuten vor dem Zug an. Auch fuhren Zug und Bus die gleiche Route und hielten an den gleichen Haltestellen. Welcher Depp hatte bloß diesen Fahrplan erfunden? Da ich noch ein paar Minuten Zeit hatte, nutzte ich selbige um am Fischener Sparkassenautomaten meine Liquidität aufzustocken. Oberstdorf entsprach meinen Erinnerungen / Erwartungen. Es ist eine Kreuzung aus Tourizentrum, Landmetropölchen und Dorf. Ein Teil scheint eine Metamorphose in Richtung "modernes Großstadteinkaufszentrum" durchführen zu wollen. Zweigeschossige Kaufhäuser sind eins der Symptome davon. Der Stadtbus - so eine Art pragmatischer Ersatz für ein U-Bahnnetz - ist ein weiteres Symptom. Eigentlich ist Obersrdorf nicht so groß, daß man es nicht in der gleichen Zeit wie der Stadtbus zu Fuß durchqueren könnte. Aber wahrscheinlich war dieses Stadtbussystem die einzige Möglichkeit Obertsorfs quengeliges Verlangen nach einer Metro irgendwie wenigstens halbwegs ruhig zu stellen. Nun zwängt sich im 10-Minutentakt der Bus durch die Gassen der Fußgängerzone und treibt dabei wohl mehr Fußgänger zu panischer Flucht als er vom Park & Ride System wieder nachführen kann. Eigentlich hasse ich es auch so schon Kleidung zu kaufen. Mit dicken Flugstiefeln Skihosen zu kaufen, auch noch mit dicker Jacke, das ist besonders doof. Dieses ewige rein und raus aus den Klamotten. Schon im ersten Laden hatte ich keine Lust mehr. Es schien sich der Einheitspreis von €69 für herabgesetzte Skihosen durchgesetzt zu haben. Jedenfalls war das der Preis, den die drei Läden, die ich durchhielt, als Kampfpreis gewählt hatten. Egal, was die Hose als durchgestrichen Listenpreis aufgeklebt hatten, fast alle Sonderangebote kosteten €69. Zwar gab es noch eine Hose, die €49 gekostet hätte, jedoch kaufte ich doch eine, für €69, weil da ein Zettel mit ganz vielen -Tex Worten und sogar bunten Diagrammen dran hing. Auch ließ ich mich tatsächlich davon manipulieren, daß sie einst €230 hatte kosten sollen. Es wunderte mich nicht, daß sie zu dem Preis nicht verkauft worden war: sie hatte nicht einmal Hosentaschen, dafür jedoch aparte Reisverschlüsse über die gesamte Beinlänge, die ähnlich wie bei einem Trockenanzug für Windsurfer mit Gummidichtungslippen abgedichtet waren. Das hielt ich für gut, denn die könnte ich zum Entdampfen öffnen - wahlweise von oben oder unten. Nur sollte ich besser darauf achten nicht meine mottenzerfressene lange Unterhose drunter zu tragen. Die habe ich nämlich noch nicht ausrangiert, da sie erstens meine wärmste und zweitens vor allem sauteuer war. Das mit den fehlenden Hosentaschen ist für einen Gadget-Freak wie mich eigentlich ein Problem. Ich würde Handy, Schlüssel und Geldbörse aderswo unterbringen müssen. Das würde beim Fliegen jedoch eigentlich ganz gut sein, da ich mir schon mehr als einmal blaue Flecken an den Oberschenkeln zugezogen hatte, weil die Beingurte auf irgendwelche Tascheninnereien drückten. Nun hatte ich also eine Technohose an deren beworbenen Eigenschaften ich eigentlich gar nicht glaubte. Ich meine - Wie soll das denn gehen? Windundurchlässig aber atmungsaktiv? Ein locker gestrickter Pulli mag vielleicht Nässestau reduzieren, da eben Luft - und mir ihr Wasswergas - hindurch kann. Da konnte noch soviel "Sympatex" und "Transactive" draufstehen - mehr als "nicht ganz so atmungspassiv" kann das letztendlich nicht bedeuten. Wie gesagt - ich kaufte die Hose trotzdem und zwar genau wegen all der beworbenen Eigenschaften, an die ich nicht glaubte. Weiterhin kaufte ich noch wärmende Filzeinlegesohlen mit Alubeschichtung. Das mit der Alubeschichtung hielt ich auch schon immer für einen Witz. Aluminium kannte ich als Material, das in der Elektronik für Kühlkörper eingesetzt wird, weil es extrem gut Wärme leitet. Jemand der kalte Füße haben möchte, dem würde ich empfehlen sich welche aus Aluminiumwolle zu stricken. Nun gut, auf den Filzsohlen war die Alufolie so dünn, daß sie als Wärmeleiter höchstens eine vernachlässigbar kleine Rolle spielen konnte. Die paar µm die diese Folie dick war, hätte die Wärme auch ohne besondere Hilfe rasch überwunden. Hingegen kann Alu auch Wärmestrahlung reflektieren. Ich glaube zwar auch nicht daran, daß der menschliche Fuß so viel Wärme abstrahlt, daß eine Reflektion überhaupt einen bemerkbaren Effekt macht. Aber schaden würde es nicht. Immerhin war die Reflektionsschicht auf der richtigen Seite (unter dem Filz). Von Oberstdorf nach Fischen zu gelangen war glücklicher Weise kein Problem: Die Bahn fuhr im Halbstundentakt und man mußte sich nicht mit dem Busorakel rumschlagen. Das war auch genug für diesen Tag. Ich überprüfte lediglich noch daß die Dusche im Gästehaus Friedenau funktionierte. 14. 6. 2006, Dienstag Diesmal reduzierte ich meine Kleidung. Es gab nur noch zwei lange Unterhosen, der Pulli kam weg, statt dessen trennte ich das Futter von der Funktionsjacke und trug es über dem Hemd. So würde ich - wenn erforderlich - durch Reißverschlußöffnen abdampfen können. Am Frühstückstisch begegnete ich wieder Gabriele, so hieß die Nonnenartige. Viel konnte ich nicht mit ihr reden - ich mußte den Bus zur Flugschule bekommen. Einen hatte ich schon verpaßt. Das war deshalb ärgerlich, weil ich dadurch von der Flugschule keinen Anschluß erwischen würde und von dort aus zum Berg laufen mußte. In der Flugschule war mein Schirm noch nicht gecheckt worden. Also mußte ich mir einen leihen. Peter wollte mir gerne einen Arcus 4 von Swing als Leihschirm geben. Daraus wurde aber nichts, denn dort, wo er den Arcus vermutete, war kein Arcus. Er gab mir dann einen Independence, der angeblich besonders gut in der Thermik ginge. Eigentlich sei sowieso jeder Schirm besser als der Phelix. Mir doch erst mal egal, wie der Schirm heißt, Hauptsache ich konnte damit schnell umgehen und die B-Scheinprüfüng bestehen. Ich solle aber aufpassen, denn der Schirm sei viel feinfühliger als meiner und er würde auch viel leichter starten. Ich solle eben auf sowas Vorbereitet sein, damit es mich nicht überrascht. Dank GPS und einsetzender Ortskenntnis konnte ich den Weg zur Hörnerbahn leicht finden und war auch nach rund einer guten Dreiviertelstunde da. Diese Dreiviertelstunde Stunde war die Feuerprobe für die neue Hightechhose. Ich hatte vorsichtshalber die seitlichen Reißverschlüsse soweit, wie es sittlich vertretbar war, geöffnet. Wow, da wurde tatsächlich nichts wirklich feucht. Mein Hemd, das ich unter dem Schlumpf trug, hingegen war klatschnaß - trotz offenem Reißverschluß. Sollte die Wundermaterialhose tatsächlich halten können, was sie versprach? Der Segelflugwetterbericht für Bayern, den ich noch vorm Frühstück per Handy und GPRS heruntergeladen hatte, sagte eine Ostlage voraus und im Vertrauen darauf kaufte ich eine Ganztagskarte. Es war Bilderbuchwinterwetter. Schon auf der Fahrt nach oben stellte ich fest, daß ich durch meinen Sackflug wie ein bunter Hund bekannt war. Ein Fliegerkollege sprach mich in der Gondel sogleich darauf an. Besonders irritiert war ich, als oben ein Blondchen sich besorgt nach dem Zustand meines Schirms erkundigte. Glücklicherweise hatten mir ja zwei Fluglehrer bestätigt keinen Pilotenfehler gemacht zu haben, so waren diese Begegnungen nicht von entwürdigender Schmach überschattet. Es war nur noch eine Flugschule da, was sich in deutlich reduziertem Flugbetrieb angenehm bemerkbar machte. Schon bald war eine Startlücke für mich frei. Diesmal beschränkte ich mich darauf das GPS eingeschaltet im Rucksack zu lassen. Auch die Schneebrille kam weg, statt dessen meine gewohnte Windbrille, die schon so manches mal unter Beweis gestellt hatte, daß sie im Fahrtwind gut belüftet wieder entschlägt. Ich war überrascht, wie angenehm schon die leichte Orangetönung der Brille die Augen von den Schneereflektionen entlastete. Den unbekannten Schirm legte ich wieder einmal akribisch genau aus. Der Starfluglehrer versäumte es nicht, mich darauf hinzuweisen, daß ich aufpassen solle, weil der Schirm viel schneller und leichter als mein Phelix starten würde. Nun gut. Ich stellte mich hin, A-Leinen leicht durchhängend und startete los. Was? Das soll leichtes Aufziehen sein? Das Ding kam überhaupt nicht in die Pötte, so sehr ich mich auch in die Leinen stemmte und die A-Leinen drückte. Ich zog das Tuch ein paar Meter hinter mir her, dann drehte der Schirm leicht nach rechts. Resigniert unterlief ich nur sehr halbherzig und rammte ihn dann in den Schnee. Ok, es ist Monate her, daß ich meinen Phelix das letzte mal bei Nullwind aufgezogen hatte, aber ich hatte ihn als wesentlich leichter und williger startbar in Erinnerung als dieses angepriesene Startwunder. Wirklich wesentlich. Ich hätte die beiden Schirme gerne mal gegeneinander gehalten. Am Vortag hatte ich bei gleichen Bedingungen ja auch keine Probleme meinen Phelix hoch zu bekommen. Nur daß dann der Sackflug kam. Der Fluglehrer meinte ich hätte mehr ziehen müssen. Toll. Ja wie denn? Ich habe nur 63 kg zum Reinstemmen. Ich solle ruhig einen Schritt zurückgehen, die Leinen durchhängen lassen, dann mit Anlauf und Impuls den Schirm aufziehen und kräftig die A-Leinen hochdrücken. Während meiner gesamten Grund- und A-Scheinausbildung hatte ich nie begriffen was unter "den Schirm mit den A-Leinen hochführen, jedoch nicht an den A-Leinen ziehen" zu verstehen war. Ich hatte auch nie nachgefragt, weil der Schirm immer brav kam - auch ohne Haarspaltereien der Begriffe "Ziehen" und insbesondere "Hochführen". Erst später beim Groundhandling, wenn der Schirm herunterzusacken drohte, begriff ich, was "Hochführen" hieß: orthogonal zur Leine ziehen, ein bißchen so als wolle man eine Bogensehne spannen. Das kann helfen, die richtige Strömung am Segel wieder aufzubauen, wenn sie einmal abgerissen ist. Der Strömungabriß ist durch Bäuche im Segel zwischen den Leinenebenen deutlich sichtbar. Kurz an den A-Leinen gezupft und die Bäuche strecken sich, die Strömung liegt wieder an. Nun gut. Beim nächsten Start berücksichtigte ich die Empfehlungen des Lehrers und rammte mit Anlauf all mein Gewicht in die Leinen. So kam ich auch wohlbehalten in die Luft. Aber meine Startstrecke war doch deutlich länger als die der A-Scheinlehrlinge. Soviel zum Thema Schmach. Ich flog erst einmal ein gutes Stück geradeaus, um Sicherheitshöhe zu haben, bevor ich meine Acht zu fliegen begann. Die Flugfigur "schnelle Acht" würde die nächste Zeit für mich zentral sein. Schließlich war sie Bestandteil des B-Scheinprüfungsflugs, der aus Start, schneller Acht und einer Landevolte bestand. Aber zunächst wollte ich mit diesem unbekannten Schirm vorsichtig beginnen und eine ruhige, weiträumige Acht fliegen. Oh je,war das ein Gehampel! Ich drehte mit halbem Körpereinsatz in die Kurve ein, bekam ein wenig Schräglage. Ich wollte durch Reduzieren des Zugs auf der Innenbremse vermeiden noch mehr Schräglage aufzubauen. Doch dadurch hörte der Kurvenflug fast ganz auf. Weil nun die Fliehkraft fehlte, pendelte ich wieder unter den Schirm zurück und flog wieder fast geradeaus. Also wieder mehr Zug auf die Bremse um den Kurvenradius zu verkleinern. Das gleiche Spiel begann wieder von vorne. Was für ein Gebaumel! Wenn ich je ein Gefühl für einen Gleitschirm hatte, dann hatte ich es völlig verloren. War ich überhaupt reif für den B-Schein? Wenigstens klappte die Landevolte einigermaßen. Ich flog zwar viel zu hoch an, verlängerte deshalb den Queranflug immens und kam dennoch selbst für eine A-Scheinprüfung viel zu lang rein. Aber Landen war noch nie meine Stärke und mit einem neuen Schirm … naja. Es war nur ein bißchen schade, daß am Ende des Queranflugs ein Nadelbaum stand. Den hatte ich überflogen und wußte von nun an, wie man schummeln konnte, indem man seine eigene Höhe an diesem Baum abschätzt. War man auf der Höhe, daß man die Baumspitze berühren könnte, dann war es Zeit für den Endanflug. Das konnte natürlich nur bei Windstille funktionieren. Ah, da war ja wieder das Blondchen beim Zusammenlegen ihres Schirms. Vielleicht könnte ich es ja noch schaffen die gleiche Gondel zu erwischen. Ich beeilte mich beim Packen, war aber viel zu langsam. Außerdem hatte sie Hilfe von einem anderen Kerl. Aha, sie ließ ihn sogar ihren Schirm zur Bahn tragen! So eine ist das also! Vielleicht war der arme Kerl sogar ihr Freund und Knecht. Aber ein Gutes hatte diese Beobachtung: sie machte sich nicht die Mühe Schirm und Gurtzeug in den Packsack zu packen. Bei den kurzen Wegen zwischen Bahn und Start- / Landeplatz eigentlich auch gar nicht notwendig. Das würde ich mir von ihr abschauen. Nur ob sie meinen Schirm tragen würde, wagte ich zu bezweifeln. Von der Mittelstation der Hörnerbahn zum Startplatz ging es ein kurze Strecke über die Skipiste. Ein etwa 30 Meter langes Stück dieser Piste war für einen Fußgänger ziemlich steil. Zur Überwindung dieses Stücks galt es eine Technik zu entwickeln, die vermied als Lawine unten anzukommen. Es wäre auch eine recht mickrige Lawine geworden. Der Schnee war von den Schneekatzen und Skifahrern viel zu fest gefahren, domptiert und gezähmt worden, als daß man ihn dazu hätte überreden können, bei einer ordentlichen Lawine mitzumachen. Mein erster Versuch bestand darin stechschrittartig und mit Schwung die Hacken in den Schnee zu rammen. So schuf ich mir meine Einweg-Einmann-Einfuß-Treppenstufen. Die Technik funktionierte zwar einwandfrei, war jedoch mit blödsinnig hohem Energieaufwand verbunden. Seitwärts nur auf den Schuhkanten herunterzukrebsen war zwar weniger anstrengend, aber dafür sehr unbequem und bei weitem nicht so sicher. Ständig rutschte ich dabei ab. Letztendlich wechselte ich zu einer Art alpiner Variante des Barfußwasserski: einfach mit den Schuhsohlen auf dem festgefahrenen Schnee gleich einem Skifahrer in Schußfahrt herunterschlittern. Immer wenn ein Fuß stecken blieb, mußte ich eben einen Ausfallschritt machen, damit es mich nicht auf die Fresse batzte. Das war zwar auch anstrengend und höchst labil, aber dafür schnell und spaßig. Blondchen und ihr Schirmträger waren mit dem Aufbau schon fast fertig, als ich am Startplatz ankam. Wie schaffen die das bloß so schnell? Eigentlich bin ich nicht gerade ein Trödler wenn es um den Auf- und Abbau geht, aber an diese beiden kam ich nicht ran. Der Schirmsklave startete zuerst. Es wäre ein Bilderbuchstart gewesen, wenn er nicht einen kleinen Verhänger in der Bremsspinne gehabt hätte. Der war jedoch zu klein um sicherheitsrelevant zu sein. Schräg vor dem startklaren Blondchen hatte ein anderer Flugschüler seinen Schirm ausgebreitet. Er war gerade dabei seine Leinen zu sortieren und wäre wahrscheinlich innerhalb der nächsten drei Minuten startklar gewesen. Das ging ihr jedoch nicht schnell genug. Also forderte sie ihn auf doch bitte das eine Ohr kurz einzuklappen, damit sie starten könne. Wiederwillig, jedoch wohl auch durch ihren Charme geblendet, gehorchte er. Sprudelnd fröhlich bedankte sie sich und schenkte ihm das Gefühl ihr wirklich eine Hilfe gewesen zu sein. Das ist wohl wirklich so eine. Meine weiteren Starts verliefen eigentlich alle recht ordentlich, wenn auch mit recht langem Startweg. Auch die Landungen wurden rasch besser und präziser. Mein Knackpunkt war die schnelle Acht. Für den A- und den B-Schein sind die Prüfungsflüge eigentlich gleich. Sie unterscheiden sich lediglich in zwei Punkten: Ein A-Scheinprüfling hat 35 Sekunden Zeit seine Acht zu fliegen, während ich B-Scheinaspirant das in 25 Sekunden schaffen mußte. Weiterhin reicht es, wenn der angehende A-Scheinler ein Quadrat von 60 x 60 Metern trifft, während der Höchstabstand vom Landepunkt für den B-Schein 15 Meter beträgt. Wenn am Prüfungstag kein besonderer Wind wehen würde, glaubte ich für die Landung recht gut gewappnet zu sein. Doch die Acht in 25 Sekunden, das würde ein Problem werden. Zwar wurden meine Kreise allmählich runder, gleichmäßiger und auch schneller. Ich lernte wieder richtig dosiert mit Körper- und Bremseinsatz den Radius harmonisch zu steuern. Aber bei zwei Versuchen war ich versehentlich schon im Ansatz der Steilspirale. Weiterhin neigte ich dazu beim Kurvenwechsel aufzuschaueln. Das Aufschaukeln beruht darauf, daß der Schirm durch Bremseneinwirkung schon in die neue Richtung fliegen möchte, der Flieger aber trägheitsbedingt noch in die alte Richtung baumelt. Um nun doch noch Schirm und Körper in die Gegenkurve zu zwingen, zieht man mehr Innenbremse für die neue Kurve. Das bremst naturgemäß den Schirm und der Flieger, der in dem Moment noch etwas schneller als der Schirm ist, schaukelt unter dem Schirm hindurch. Dadurch wiederum bäumt sich der Schirm auf und stellt eine große Fläche entgegen der Fahrtrichtung. Er funktioniert nun wie ein Bremsschirm und bremst die Vorwärtsfahrt, die man so sehr für die schnelle Acht braucht. All das Gebammel und Gebaumel nimmt auch den harmonischen Fluß aus dem Manöver, der explizit ein Bewertungskriterium der Prüfung war. Der Fluglehrer gab mir den Tip mit dem Ausleiten der Kurve etwas früher anzufangen und dabei schon die Geschwindigkeit zu reduzieren. Danke, das half tatsächlich. Aber ob ich die 25 Sekunden schaffen würde war noch immer fraglich. Auch hatte ich mein GPS immer noch im Rucksack gelassen und somit keine Uhr in Sichtweite, um auch nur halbwegs ernsthaft die Zeit zu messen. Die "einundzwanzig-zweiundzwanzig…" - Methode suggerierte mir jedoch, daß ich allmählich in den grünen Bereich käme. Außerdem war ja erst Dienstag und der Prüfungstermin war erst für Freitag und nicht schon für morgen angesetzt. Ich hatte also noch zwei ganze Tage zum Üben. Für Mittwoch wollte ich mir bei der Flugschule noch einen Trainingstag kaufen. Dann würde das schon passen. Es dauerte eine Weile, bis mir zu Teil wurde mit Blondchen und ihrem Trägerboy in der gleichen Gondel zu fahren. Zwar feuerte sie mich zwischendurch schon mal an - "Hepphepp, komm mit!" -, aber dann waren sie nicht bereit eine Dreiviertelminute auf mich zu warten und ich mußte eine Gondel später nehmen. Aha, da sieht man’s wieder: So eine ist das also. Statt dessen bekam ich eine Skifamilie als Mitfahrer. Der Familienvater freute sich: "Perfektes Wetter, Schnee und auch noch eine Gondel mit Armlehne - Was will man mehr?" Er benutzte meinen Leihschirm als Armlehne und grinste mich an. Ich konnte ihm sagen, was man mehr wollen könnte: einen Keks. Ich hatte ohnehin just gerade meine Rolle mit Schokokeksen rausgekramt und steigerte durch das Verteilen selbiger das Familienglück auf Gipfelniveau. Als es dann endlich soweit war, daß ich mit den beiden Highspeed-Schirmpackern die Gondel teilen durfte, stellte sich heraus, daß der Lieblingsausruf des Blondchens ein uneingeschränkt lebensbejahendes, energetisch übersprühendes "Geilll!" war. Alles war Geilll!. Das Wetter war Geilll!, daß ich es noch in die Gondel geschafft hatte war Geilll! und daß ich wieder mal eine Runde Schokokekse verteilte war natürlich auch Geilll!. Mit ihrem Schirmsklaven tauschte ich ein Ballisto gegen ein Snickers. Dann konnte ich nicht umhin, kehrte ihr mein Innerstes nach außen und gestand ihr all meine Bewunderung: "Ich habe mir Deine Schirmpacktechnik abgeguckt. Du hast völlig Recht, hier sind die Wege so kurz, daß es sich nicht lohnt alles in den Packsack zu packen." Sie lamentierte daraufhin, daß sie gar nicht wüßte wozu sie den Packsack überhaupt jemals brauchen würde. Klar, wer einen Sherpa hat, braucht keinen Packsack. Die beiden lagen in den letzten Zügen ihrer A-Scheinausbildung und legten deshalb so ein irres Tempo vor, weil sie ihre Pflichtflüge und -übungen voll bekommen wollten. Am Nachmittag stellte die Flugschule den Betrieb ein. Einerseits würde der Startplatz bald im Schatten liegen. Wenn die Sonne nicht mehr auf den Hang scheint, kühlt die auf dem Schnee aufliegende Luft schnell aus und fließt als kalter Bergwind den Hang herab. Zum Starten ist das ungünstig, da man zusätzlich zur Startgeschwindigkeit auch noch den Bergwind ausrennen muß. Wird der Bergwind irgendwann zu stark, kann der Start unmöglich werden - selbst wenn die Luft darüber noch fliegbar wäre. Andererseits waren fast alle Flugschüler fix und foxi. Kein Wunder, sie waren alle schon eine Stunde länger am Berg als ich und hatten jeder fünf bis sieben Flüge hinter sich. Bis auf zwei, das Blondchen und ihren Schirmträger. Die hatten schon neun Flüge geschafft und wollten auch noch weitermachen. In Deutschland gibt es den so genannten D-Schein. Der erlaubt es Schülern schon während der Ausbildung allein und selbstständig im angestammten Schulgelände zu fliegen. Voraussetzung dazu ist, daß ihnen der Fluglehrer einen Flugauftrag erteilt. Genau so einem Flugauftrag erbettelten sich die beiden (Geilll!), damit sie noch heute ihre Flüge voll bekommen konnten. Noch immer unter Volldampf stürmten sie nach nach oben und rissen mich mit. Tatsächlich, der Startplatz schattete allmählich ab und der Wind, der den ganzen Tag zwar schwach mit kaum 5 kmh aber beständig hangaufwärts blies, zeigte erste Aussetzer. Für die beiden D-Scheinler war das der erste Start ohne Fluglehrerbetreuung (Geilll!). Er verlief reibungslos. Der Schirmsklave startete perfekt, besser als ich. Er brauchte vielleicht 2/3 der Strecke, die ich brauchte um in die Luft zu kommen. Bei der Landung kam das Blondchen etwas kurz herein und fräste im zum Endanflug umfunktionierten Queranflug mit ihrem Protektor eine imposante Rinne in die Skipiste. Es war schon später als ich dachte und wir würden nur noch einen Flug schaffen, bevor die Bahn Feierabend machte. Für den letzten Flug hatten sich die beiden etwas Besonderes ausgedacht. Es gab einen zweiten Landeplatz, der nicht direkt an der Talstation lag, sondern ein paar hundert Meter weiter talwärts. Den Platz während der Betriebszeit der Hörnerbahn anzufliegen war natürlich Blödsinn, da man ja wieder zur Bahn zurück wollte. Nun aber, da wir ohnehin nicht mehr wieder hinauffahren konnten, machte das insbesondere für die Flugschüler Sinn. Durch diesen Landeplatz überschritten die Flüge die Grenze von 500 Metern Höhendifferenz gerade so eben. 10 solcher Höhenflüge muß jeder A-Scheinler während seiner Ausbildung absolvieren. Nun gab es folgende Situation: ein Auto, zwei Flugschüler. Wenn beide Flugschüler zum unteren Landeplatz flögen, stünde das Auto noch immer an der Talstation. Man rate wer von beiden nach unten fliegen durfte und wer das Auto fahren mußte. Geilll! Ich hingegen profitierte von der Situation, denn man bot mir an auch nach unten zu fliegen und mich anschließend sogar nach Fischen zu chauffieren. Den unteren Landeplatz kannte ich nicht wirklich. Zwar war ich schon im vergangenen Sommer der Flugschule hinterher zu einem talwärtigem Landeplatz geflogen. Jedoch hieß es immer "der Landeplatz am Minigolf". Ich hatte jedoch noch nie einen Minigolf dort unten gesehen. Außerdem wurde ich im Sommer von einer Bäuerin, die mich mit einem Heuwender zu erlegen drohte, blöd angemacht, daß der Landeplatz wo anders sei. Letztendlich war es jedoch genau diese Wiese. Blondchen flog voraus, denn sie war ja erst kürzlich dort gelandet und konnte mir so den Landeplatz markieren. Ihr Butler flog indes zur Talstation um den Wagen vorzufahren. Ich genoß den Flug hinaus ins Tal. Bei der völlig ruhigen Winterluft konnte man getrost die Bremsen loslassen und ausschließlich mit Gewichtsverlagerung steuern. Das nutzte ich um ein paar Fotos zu machen. Blondchen machte einen extrem kurzen Endanflung und dann einen kleinen Krater in den Schnee. Sie blieb erst mal regungslos liegen. Hatte sie sich was getan? Oder wartete sie bloß darauf daß ihr Chauffeur sie aufhob, in die Sänfte trug und ihr dann den Schirm bügelte und zusammenlegte? Ah, sie regte sich doch und breitete zum Zusammenlegen ihren Schirm diagonal über die Langlaufloipe aus. So eine ist das also. Vor der Landung machte ich noch zwei Achten, die gemäß Laut-Zähl-Chronometer hätten passen müssen. Auch die großzügige Landevolte paßte. Prüfung, du kannst kommen. Geilll! Äh. Habe ich das nun wirklich geschrieben oder bloß gedacht? Zum Zusammenlegen wählte ich NICHT die Loipe und war ein wenig beleidigt, weil kein Langläufer kam um das zu bemerken. Wir waren mit Zusammenlegen noch nicht ganz fertig, da kam auch schon der Schirmbursche angerauscht um Hand mit anzulegen. Bevor er mich und Blondchen nach Hause fuhr, wollte er aber noch bei der Flugschule vorbei fahren, denn er hätte nun alle Flüge zusammen. Dann könnte er schon morgen die Prüfung machen, ob Blondchen das nicht auch machen wolle? Die beiden rätselten, wie sie ihre Übungsflüge so umschreiben konnten, daß sie ohne zu lügen alle Übungs- und Höhenflüge formal erfüllt hätten. Moment. Morgen ist ein DHV Prüfer da? Nicht Fluglehrer, sondern nur Prüfer vom DHV dürfen die Prüfungen abnehmen. Ich war nur deswegen zu dieser Zeit ins Allgäu gefahren, weil am Freitag ein Prüfungstermin angesetzt war. Wenn nun schon morgen ein Prüfer hier war, dann könnte ich doch … Oder sollte ich doch lieber bis Freitag weiter üben? Wenn ich nun morgen die Prüfung machte und durchfiel - könnte ich sie dann schon am Freitag wiederholen? War da nicht etwas, das zwischen zwei DHV Prüfungsversuchen eine Woche vergangen sein mußte? Diese Frage bereitete den Fluglehrern in der Schule auch kurzes Kopfzerbrechen. Galt das nur bei A-Scheinprüfungen? Man einigte sich darauf, daß es zwar offiziell auch bei B-Scheinprüfungen galt, jedoch normalerweise nicht so genau genommen werde. Na toll. Auf diese Aussage konnte ich nicht wirklich bauen. Ach außerdem hatte ich zwar schon meine 10 selbstbestätigten Flüge >500 Meter und > 30 Minuten zusammengesucht, aber noch nicht in mein Ausbildungsheft übertragen. Apropos Ausbildungsheft: das lag noch schön in meinem Gastzimmer. Bis zum Geschäftsende der Flugschule würde garantiert keine Busverbindung reichen. Aber Silvie (mittlerweile war ihr Name gefallen) und ihr Butler mußten auch noch ihre Ausbildungshefte holen. So hatte ich das Glück, daß mir Silvies Schirmhelfer anbot mich in die Autorunde "Unterlagenexpress" einzugliedern. Gei… -äh- Welch ein Glück! Der arme mußte noch einmal 500 Meter für mich zurück fahren, weil ich beim ersten mal zwar Ausbildungsheft, Theorieprüfungsnachweis und PDA zum Auslesen der Datei mit meinen Flügen mitgenommen hatte, jedoch nicht die Speicherkarte auf der selbige Datei war. Die steckte noch im Fotoapparat. Dann fuhr er ein Rennen gegen die Zeit und schimpfte zu Recht als Silvie anmerkte wie Geilll! es doch war durch Schuh- und Sockenwechsel wieder trockene Füße zu haben. Wir schafften es trotzdem rechtzeitig zur Schule zurück. Unterwegs erfuhr ich, daß Silvies Chauffeur Saxophonist war, Musik studierte, in mehreren Projekten spielte und auch Unterricht erteilte. Neben Saxophon- erteilte er auch Flöten und Klarinettenunterricht. Eigentlich sollte ich auch seinen Namen kennen, aber den vergaß ich sofort wieder. Scheiß Hormone. In der Flugschule angekommen krickelten wir hastig die fehlenden Zeilen in die Ausbildungsbücher. Der DHV Umschlag für die Prüfungsunterlagen kostete übrigens einen Euro. Bis wir mit dem Zeug fertig waren, war die Geschäftszeit der Flugschule eigentlich schon um eine halbe Stunde überschritten. Die armen Fluglehrer. Während sich Silvie und ihr Untergebener freuten, haderte ich noch mit mir. War es wirklich eine so gute Idee, mich jetzt schon zur Prüfung zu melden? Diese Frage stellte sich erst Recht, als ich mir zu Hause die Aufzeichnungen meines GPS ansah. Oh je. Nicht nur daß ich mir die 25 Sekunden für meine Acht schön gezählt hatte - ich hatte nicht eine einzige Acht geflogen. Nach dem ersten Vollkreis hatte ich für den Kurvenwechsel stets ein paar Meter gebraucht, so daß der zweite, gegenläufige Kreis einige Meter versetzt war. Statt einer schnellen Acht hatte ich also zwei gemütliche Vollkreise in rund 30 Sekunden geflogen. Das mit der Prüfung für morgen war also dazu verdammt schief zu gehen. Mal genauer hinsehen. Wenn ich nun den ersten Vollkreis schon bei gut dreiviertel abbräche und dann schon in den Gegenkreis überginge, dann würde ich vielleicht tatsächlich die 25 Sekunden schaffen und auch die Acht zu einer gefälligen Schleife fliegen. Vielleicht war genau das mein Fehler. Ich war die ganze Zeit davon ausgegangen, daß ich zwischen den beiden Kreisen wieder komplett auf der Leitlinie fliegen müßte. Aus den Prüfungskriterterien, die auf http://www.dhv.de einsehbar waren, war das jedoch nicht so genau zu entnehmen. Da stand nur etwas von einem durchgehendem Kurvenwechsel auf der Anflugachse. Das könnte sowohl heißen daß man zum Kurvenwechsel wieder entlang der Anflugachse fliegen muß, als auch daß es vielleicht schon reicht genau während des Kurvenwechsels die Anflugachse zu queren. Ich zählte mal nach wieviel Zeit mir für das genaue Ausrichten auf die Achse zwischen den Kreisen verloren gegangen war: das waren ziemlich genau die fünf Sekunden, die mir noch fehlten. Ok, wenn das tatsächlich so war, dann hatte ich vielleicht doch noch eine Chance. Hätte ich das nur vorher gewußt, dann hätte ich anders trainieren können. Vorher wußte ich jedoch nicht einmal, daß ich morgen eine Prüfung machen konnte. Na dann erst mal gute Nacht. 15. 3. 2006, Mittwoch Nun war es soweit, Prüfungstag. Ich probierte eine neue Variante von Kleidungsordnung: das Baumwollhemd flog raus. Es hatte sich gestern wieder vollgesogen und war dem Wärmehaushalt abträglich. Zwei lange Nylonunterhemden und darüber der Polyesterrolli sollten warm genug sein. Hätte ich nur der Gastwirtin Bescheid gegeben, daß ich heute etwas früher mein Frühstück brauchte. Irgendwie brauchte auch das Internet etwas länger als nötig um mir den bayrischen Segelflugwetterbericht auszuspucken. Der sah jedoch ziemlich gut aus: schwacher Ostwind, wie die beiden Tage zuvor auch. Ich war spät dran, denn um halb neun war das Treffen in der Flugschule angesagt. Wenn ich auf das Frühstück verzichtete, dann würde ich es jedoch problemlos zum Bus schaffen um rechtzeitig anzukommen. Davon wollte meine Gastwirtin jedoch überhaupt nichts wissen. Sie bestand darauf, daß ich in aller Ruhe frühstückte und sie würde mich dann zur Flugschule fahren. Hö? Wie ist die denn drauf? Für 16 EUR / Nacht (zuzügl Kurtaxe) kann man solch einen Service absolut nicht erwarten. Durch die so gewonnene Zeit konnte ich mich noch von Gabriele verabschieden, für die heute die Heimreise anstand. Erst nachdem ich meine zwei Quarkbrötchen gegessen hatte, fuhr mich die Wirtin in einem Pickup in amerikanischem Nationalflaggendesign nach Obermaiselstein. Dort trudelten gerade die ersten A-Scheinschüler ein. Sie wurden direkt in den Unterrichtsraum gelotst um ihre Starts vom Vortag auf Video zu analysieren. Schnell lernte ich noch den ausgehängten Wetterbericht auswendig. Der war deutlich präzieser als mein heruntergeladener. Dann krallte ich mir einen der Fluglehrer und fragte ihn wie denn nun genau diese Prüfungsacht auszusehen habe. Zu meinem Entsetzen sagte er mir, daß die Figur, die ich gemäß meiner Beschreibung geflogen hätte, genau das Erwartete wäre: zwei Vollkreise mit vollständiger Rückkehr auf die An-/Abflugachse beim Kurvenwechsel. Die Beschreibung "Acht" sei genau genommen falsch, denn die beiden Vollkreise dürften durchaus in Fahrtrichtung leicht versetzt sein - vorausgesetzt der Kurvenwechsel sei flüssig. Uääh. Aber ich solle mir darüber keinen Kopf machen, es ginge den Prüfern viel mehr um den Gesamteindruck als darum, ob man nun die Flugfigur genau in der Zeit schaffte. Hätte ich ihm am Vortag Bescheid gesagt, dann hätte er sich das doch mal angesehen. Tja, eigentlich war heute ja der Tag, an dem ich mir Profitraining angedeihen lassen wollte. Der Prüfer war ein sympathischer blonder Vierschröter mit Schnauzer. Es standen heute fünf Schüler auf der Prüfungsliste. Es wurden kurz die Dokumente gezählt, dann die zugehörigen Flugschüler. Silvie machte sich direkt daran den Prüfer zu becharmen. Nachdem diese Formalitäten geklärt waren, reiste die gesamte Truppe, Schüler, Prüflinge, Fluglehrer und Prüfer auf Autos verteilt zur Hörnerbahn. Etwas überrascht war ich, als Silvie nicht ihren Saxophonisten-Chauffeur sondern jemand anderen benutzte. Zunächst zitierte der Prüfer alle seine Prüflinge zum Landeplatz, um mit uns noch mal den Prüfungsvorgang und die Kriterien durchzugehen. Ich hatte das alles schon im Internet nachgelesen. Wir würden selbstständig den genauen Ort des Schirmauslegens und den Startzeitpunkt bestimmen, sollten aber doch bitte noch vor heute abend fertig werden, denn bei dem Wetter wolle er noch Skifahren. Wenn genügend Prüflinge zusammen gekommen wären, dann wären auch zwei Prüfer zur Abnahmen gekommen. Einer hätte den Start, der andere die Flugfigur, die Landevolte und die Landung abgenommen. Bei nur fünf Prüflingen würden wir jedoch zwei mal fliegen müssen, einmal für die Abnahme des Starts, und noch einmal für die Abnahme der Flugfigur, der Landevolte und der Landung. Der Prüfer würde zwischen den beiden Durchgängen zwischen Start- und Landeplatz wechseln. Wir könnten uns per Mehrheitsentscheid aussuchen, ob wir zu erst den Start oder zu erst den Rest geprüft haben wollten. Diesmal bekam die arme Silvie nicht ihren Wunsch. Sie wollte zu erst den Flug abgenommen bekommen, aber die Mehrheit entschied sich dagegen. Mir war es jedenfalls wesentlich lieber noch einmal die Acht zu üben und sie erst dann "ins Reine" zu fliegen. Meine Frage, wie das denn nun gewertet würde, wenn ich zwei Achten flöge, und nur eine schnell genug wäre, grinste er: "Stets zu Gunsten des Prüflings." Zwei Achten zu fliegen war bei der Abflughöhe von der Mittelstation aus gut möglich. Vielleicht auch noch eine dritte, aber das wäre knapp und man hatte kaum noch genug Höhe um saubere Positionskreise für die Landevolte zu drehen. Der Kerl, mit dem Silvie zur Hörnerbahn gefahren war, dokumentierte alles mit einer sehr männlichen Kamera. Schwarz. Massiv. Ein Riesenrohr von Objektiv dran. Alles an dem Ding drückte aus: Ich mache ernsthaft Fotos, keine Spielereien. Ich bin eine Kamera und passe in keine Hosentasche, weil ich für sowas viel zu wichtig bin. Die Art wie Silvie und der Fotograf miteinander umgingen sprach deutlich: Der war nicht ihr Schirmträger, das war was anderes. Nur so um sicher zu sein vergewisserte ich mich noch schnell bei einem A-Schüler, wo denn offiziell der Positionskreis genau geflogen werden sollte. Aha, genau über dem letzten Pfeiler vor der Talstation, so wie ich es schon immer gemacht hatte. Also auf nach oben. Silvie und ihr Schirm mitsamt der ‘Halterung’ waren wieder mal die ersten in der Gondel. Ich schaffte es mich mit in die Gondel mit dem Prüfer zu mogeln. Schließlich mußte ich es doch noch schaffen mildernde Umstände herauszuschlagen, indem ich beiläufig erwähnte, daß ich mit einem Leihschirm und nicht mit meinem eigenen unterwegs war. Aber das anzubringen war überhaupt nicht einfach. Da war eine nervige Quasselstrippe mit in der Kabine, die den Kerl mit belanglosem Geblubber völlig in Beschlag nahm. Jetzt von der Kabine aus nahm ich zum ersten mal wahr, wo genau die Spuren meines Sackflug des ersten Tages waren und wie steil ich abgegangen war. Das war ja höchstens eine Gleitzahl von 1:2. Einen Schneeball hätte ich weiter werfen können. Während des Sackfluges war mir das nicht so heftig vorgekommen. Oben angekommen war der Saxophonist wie üblich schon startklar, Silvie lag nur knapp zurück. Nun geschah etwas völlig Neues: Silvie fragte, ob ich nicht schon vor ihr raus wolle. Nun ja, mir sei’s egal, die Startbahn war selbst für mich auch vor ihr noch lang genug. Die Prüfung setzte ihr wohl doch zu. Ich jedenfalls hatte einfach nur Bammel die Acht nicht schnell genug zu schaffen. Was wäre wenn ich durchfiele und diesmal doch die Frist von sieben Tagen zwischen zwei Prüfungsversuchen akribisch eingehalten würde? Zu spät zum Jammern. Der Prüfer wandte sich dem Musiker zu und unterhielt sich kurz mit ihm. Das war gewiß das Überprüfen des Vorflugchecks, nichts was zu belauschen sich ernsthaft lohnen würde. Daran würde ich nicht scheitern können. Dann startete der Kerl einen lehrvideotauglichen Start. Der Prüfer notierte etwas auf seinem Klemmbrett und stapfte mir entgegen. Ich war als nächster startklar. Ich meinte noch: "Wenn der Start da gerade nicht bestanden war, dann weiß ich auch nicht." Woraufhin der Prüfer meinte, ich solle bloß nicht versuchen es besser zu machen. Das wäre unglaubwürdig. Ich spulte meinen 5- Punkte Check "Pilot, Leinen, Kappe, Luftraum, Wind" herunter, erzählte ihm den Wetterbericht und er winkte ab: "Das kommt ja wie aus der Pistole geschossen." Also vollzog ich meinen Start - wieder mal nicht ganz so gut wie mein Vorgänger, da mein Startweg doch deutlich länger war. Aber ansonsten eigentlich einwandfrei. Schirm hoch, deutlicher Kontrollblick, ordentlich beschleunigen bis zum Abheben, der letzte Schritt in der Luft. Dann noch ein paar Sekunden laufbereit verharrt bis genügend Luft unter mir war, so daß weiterer Bodenkontakt ausgeschlossen war. Dann erst ins Gurtzeug hineingesetzt, Knie hoch, damit ich gut nach hinten rutschte und ab dafür. Den Start sollte ich wohl bestanden haben. Der Prüfer würde sich nun dem nächsten Prüfling zugewandt haben und mich nicht weiter beobachten. Jetzt war meine allerletzte Gelegenheit noch einmal die schnelle Acht zu üben. Viel schneller als am Vortag brauchte ich gar nicht erst zu versuchen, denn ich hatte ja da schon Ansätze zur Steilspirale erlebt. Also flog ich ganz brav, aber hochkonzentriert eine Acht, so wie am Vortag geübt. Sie gelang vielleicht nicht ganz in der Zeit, war aber ziemlich gleichmäßig. Also noch eine Acht. Wenn die erste gereicht hätte, dann die zweite auch. Wenn nicht, dann die zweite auch nicht. Ich hatte noch Höhe und versuchte eine dritte Acht. Aber es wurde nur eine 9, dann mußte ich sie abbrechen um noch genügend Höhe für die Landevolte zu haben. Für einen Positionskreis hat es nicht mehr gereicht. Auch insgesamt fiel die Landevolte zwar noch akzeptabel, aber doch etwas klein aus. Aber ich stand nahe genug zum Landepunkt, das hätte reichen müssen. Der Fluglehrer, mit dem ich in der Flugschule noch über die Acht geredet hatte, kam auf mich zu und meinte, daß die Achten, die ich geflogen hätte, reichen müßten. Langsamer sollte ich sie aber nicht fliegen. Jedoch hätte ich den Positionskreis falsch herum geflogen. Er hatte meine dritte Acht für einen Positionskreis gehalten. Auch bemängelte er meine Landevolte, da sie ja nun tatsächlich ziemlich knapp war. Ich sollte doch besser nur eine Acht fliegen und die Landevolte dafür sauber. Danke für den Tipp. Ich beschloß dennoch zwei Achten zu fliegen. Danach würde es immer noch für ein bis zwei saubere Positionskreise und eine große Landevolte reichen. Der Saxophonist kam natürlich auch angerannt und wollte wissen wie der Prüfer wohl mit seinem Start zufrieden gewesen wäre. Als ich ihm den Spruch von der Unglaubwürdigkeit eines noch besseren Startes rezitierte, freute er sich einen Ast ab. Einige Zeit später kam auch Silvie angeflogen. Sie war ein ziemliches Nervenbündel und plapperte drauf los, daß sie einen Startabbruch hatte, weil sie einen Tragegurt falsch herum eingehängt hatte. Wir versuchten sie zu beruhigen - schließlich hatte der Prüfer selbst gesagt ihm wäre ein ordentlicher, kontrollierter Startabbruch 100 x lieber als ein rausgewürgter Start. Auf nach oben, zur zweiten Runde. Als ich am Startplatz ankam, war der Prüfer schon fort. Das war ein gutes Zeichen. Hätte einer der fünf Prüflinge einen unsauberen Start hingelegt, dann hätte er mit einem Nachflug einen zweiten Versuch gehabt. Wenn der Prüfer also schon das Startfeld geräumt hatte, bedeutete das, daß alle Schüler den Start bestanden hatten. Die Möglichkeit, daß einer direkt durchgefallen war, schloß ich bei dem Niveau, das ich bei den Schülern beobachtet hatte, aus. Auch der Fluglehrer, der mittlerweile die Starts der Nicht-Prüflinge betreute, bestätigte das. Wieder ging der ausgezeichnete Starter zu erst hinaus. Ich kümmerte mich nur um mich selbst und meine blöde Acht. Mein Start verlief wie gewohnt. Dann flog ich zur Position. Wie geplant machte ich eine Acht und hängte sofort die zweite dahinter. Im Nachhinein fragte ich mich, ob das nicht ein bißchen voreilig war. Schließlich hatte ich vielleicht damit nicht deutlich genug gezeigt, daß ich auf gleichem Kurs aus der Acht herausgekommen, wie ich hineingeflogen war. Aber das wäre sicherlich kein Problem, schlimmstenfalls mit einem Nachflug korrigierbar. Die Zeiten der beiden Achten kamen mir auch zügig genug vor - eben im Rahmen meiner Fähigkeiten. Nun flog ich noch zwei große, flache Positionskreise und eine ausgedehnte Landevolte. Das klappte wie am Schnürchen. Ich kam mit genau der richtigen Höhe herein und schaffte tatsächlich eine perfekte Punktlandung, genau auf dem als Landepunkt ausgelegtem Segelbeutel. Alles hing nun daran, wie der Prüfer mit meinen Achtern zufrieden war. Schnell räumte ich meinen Schirm aus dem Landefeld um für nachfolgende Flieger Platz zu machen. Dann mußte ich natürlich den Prüfer löchern. Er meinte, er müßte sich schon sehr anstrengen, wenn er einen Grund finden wolle, mich durchfallen zu lassen. Ich hatte also bestanden. Er meinte, das habe bei mir alles sehr harmonisch und beherrscht ausgesehen, er kenne sich da aus und könne das beurteilen. B-Schein, ich hab Dich! Auch der Saxophonist hatte mit wehenden Fahnen bestanden. Er erzählte mir, daß er mit dem Prüfer in einem Gespräch vertieft war, als ich meine Achten flog. Der Prüfer habe daher nur den letzten Teil meiner Acht ansehen können. Er habe daraufhin einfach 25 Sekunden auf seinem Klemmbrett notiert und gut war. Mir sollte das recht sein. Auch Silvie landete ordentlich ein und unterließ es neue Furchen in die Pisten zu drechseln oder hinzufallen und liegen zu bleiben. Die anderen Prüflinge durften sich ebenfalls über bestandene Prüfungen freuen. Der Prüfer meinte noch, daß es eigenltich gar keine Möglichkeit gegeben hätte durchzufallen. Schließlich sei die Durchfallquote bei zehn Prozent und wir waren nur fünf Prüflinge. Wir verbrachten vielleicht eine gute halbe Stunde damit uns zu freuen. Doch der Tag war noch jung, das Wetter war perfekt - was könnte man also sonst noch besseres tun außer zu fliegen? Aber keine Achten mehr! Silvie war auch völlig flugGeilll! und ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen: "Jetzt denkt sie nur noch an das eine: ans Fliegen." Sie tuschelte ich solle das in Anwesenheit ihres Freundes nicht so laut sagen …. Vor dem nächsten Start machte ich noch ein paar Fotos vom Saxophonisten und Silvie, dann aber nichts wie raus in die Luft. Im Winter bei geschlossener Schneedecke zu fliegen bedeutet im Wesentlichen einfache Abgleiter. Die Sonne wird größtenteils vom Schnee reflektiert und der Boden kann sich kaum aufheizen. Dadurch steigt nur selten warme Luft auf, die ein Flieger nutzen kann, um seinen Flug zu verlängern. Bei meinem nächsten Flug gelang es mir jedoch tatsächlich einen Bart zu finden. Statt der üblichen 5 Minuten Flugzeit schaffte ich es rund 15 Minuten oben zu bleiben. Immer noch ein ziemlich kurzer Spaß, aber genau das Finden und Nutzen von Thermik ist es, das den Reiz des Gleitschirmfliegens ausmacht. Allerdings hatte diese verlängerte Flugzeit auch einen Nachteil. Bei einem 5 Minutenflug spielt die Kälte kaum eine Rolle. Man ist schneller am Boden, als man braucht um ernsthaft mit dem Frieren anfangen zu können. Aus Bequemlichkeit hatte ich daher weder meine Sturmhaube noch meine Innenhandschuhe benutzt. Das rächte sich bei dem Viertelstundenflug. Kinn und Wangen beschwerten sich ebenso wie Zeige- und Mittelfinger über die Kälte. Es war zwar nicht unerträglich, jedoch zog ich von nun an auch Haube und Innenhandschuhe an. Silvie mußte schon etwas früher aufhören, da sie noch geliehene Garmaschen zurückgeben mußte. Zwecks Fototausch gab ich Silvie und ihrem Fotografen noch meine Carangg-Karte. Im Gegenzug bekam ich deren Visitenkarte von ihrem gemeinsamen Fotostudio. Äh, nein, eigentlich war das keine Visitenkarte. Das war vielmehr eine 1a Hochglanzwichsvorlage mit einem Mädel (nicht Silvie) in Reizwäsche auf schwarzem Grund. So eine war das also nicht. Oder doch? Beim näheren Hinsehen fand ich jedoch auch die Anschrift, Web- und E-Mailadresse. Vielleicht also doch eine Visitenkarte. Die anderen A-Scheinler und Prüflinge strichen auch irgendwann die Segel. Somit waren der Saxophonist und ich für den letzten Flug des Tages allein. Außer dem Startplatz an der Mittelstation gab es noch einen weiteren, etwas höher gelegenen: den Startplatz Weiherkopf. Im Sommer ist es kein großes Problem von der Gipfelstation der Hörnerbahn über einen Grat zum Weiherkopf hinüberzulaufen. Da es im Sommer rund 20 Minuten dauert dorthin zu kommen, ist der Weiherkopf erst dann interessant, wenn die Hörnerbahn Feierabend macht. Für den letzten Flug des Tages beschlossen Sax-Man und ich daher zu versuchen, ob man auch im Winter den Weiherkopf zu Fuß erreichen konnte. Doch schon an der Gipfelstation sahen wir eine Windfahne im Westwind flattern. Das ist exakt die entgegengesetzte Windrichtung, die man sich für einen Start vom Weiherkopf wünscht. Der Wind hatte schätzungsweise 10 bis 15 kmh, war also auch absolut nicht vernachlässigbar. Der Musiker wollte zwar trotzdem versuchen wie es denn am Weiherkopf nun aussah, aber für mich war die Sache klar: von dort starte ich heute nicht. Wir beobachteten noch eine Weile, wie der Westwind über dem Gipfel des Weiherkopfs Wölkchen blies. Eigentlich mag ein Gleitschirmflieger so etwas sehen, aber nicht wenn der Wind um 180° falsch kommt. Irgendwann hatte der Saxophonist auch ein Einsehen. Er ließ sich zwar noch vom Mann an der Gipfelstation der Hörnerbahn die Windwerte für den Weiherkopf geben. Merkwürdiger Weise behauptete der, daß dort überhaupt kein Wind gemessen würde. Naja, im Lee ist alles möglich. Wir fuhren daher doch wieder zur Mittelstation herunter um von dort aus zu starten. Wäre mir der Berg fremd, dann hielte ich auch von hier aus einen Start für gefährlich. Jedoch scheint sich der Leerotor zumeist oberhalb der Mittelstation abzuspielen. Man kann also sogar bei leichtem Westwind diesen Oststartplatz trubulenz- und gefahrlos benutzen. Wieder bot mir der Saxophonist an, daß ich ruhig bis zum tieferen Tallandeplatz fliegen könne, er würde mich dann dort abholen. Er flog voraus. Als ich jedoch starten wollte, kam mein Schirm mit einem leichten Linksdrall hoch. Alles kein Problem, sowas kann man durch Unterlaufen und Gegensteuern korrigieren. Der Startplatz war von einer Schneekatze großflächig planiert worden. Ich hatte am linken Rand meinen Schirm ausgelegt, weil dort die Startbahn etwas länger war. Als ich jedoch nun noch nach links meinen Schirm unterlaufen mußte, kam ich von der planierten Schneefläche ab und stapfte plötlich in knieetiefem Schnee. Natürlich batzte es mich auf die Nase. Der Schirm jedoch hob mich wieder ein Stückchen heraus und schleifte mich noch zwei drei Meter weiter, bevor ich ihn endlich rechts stallen konnte. Was für ein Fehlstart. Ich war eine recht steile Böschung halb heruntergepurzelt, das GPS aus dem Turnschuh geflutscht, die Brille voll Schnee, die Leinen verheddert und ich befand mich in oberschenkeltiefem Schnee im steilsten Stück dieses Hangs. Was für ein Mist. Beim Zusammenreffen des Schirms konnte ich in dieser Lage keine Rücksicht darauf nehmen, daß ich ordentlich Schnee in die Eintrittsöffungen schaufelte. In tiefem Schnee, beladen mit sperrigem Zeugs überhaupt ein Bein aus der Schneedecke herauszuheben bedurfte schon einiger Verrenkungen. Dieses Bein mußte ich dann jedoch noch bergauf irgendwo anders in den Tiefschnee stecken, und zwar so, daß man da auch sein Gewicht drauf verlagern konnte. Für die 5 Meter brauchte ich bestimmt 15 Minuten. Fix und foxi wedelte ich erst einmal den Schnee so gut ich konnte aus dem Schirm. Dann gönnte ich mir noch eine Verschnaufminute, bevor ich mich daran machte zu starten. Der arme Saxophonist stand bestimmt irgendwo unten, fror und fragte sich wo ich denn wohl bleibe. Glücklicherweise klappte der nächste Start passabel und ich konnte ins Tal hinunter fliegen. Dort stand er schon und wartete. Er erzählte, daß möglicher Weise die Flugschule morgen zum Nebelhorn fahren würde. Das war eine frohe Nachricht, denn Bolsterlang und Hörnerbahn hatte ich jetzt zur Genüge. Er fuhr mich heim. Welche Acht gilt?Was für ein Tag! B-Schein bestanden, erster Thermikflug des Jahres und die Aussicht das Fluggebiet wechseln zu können! Doch zunächst mußte ich mir doch noch mal den GPS Track meines Prüfungsfluges ansehen - ob ich denn nun durch Gnade oder durchaus berechtigt meine B-Scheinprüfung bestanden hatte. [ATTACH=CONFIG]23044[/ATTACH] Ich war verblüfft. Meine erste Acht war zu langsam. Meine zweite Acht war auch zu langsam. Aber wenn man den zweiten Kreis der ersten Acht und den ersten Kreis der zweiten Acht betrachtete, dann formte sich daraus eine völlig harmonische Acht. Alles stimmte, Einflugachse, Ausflugachse, alles auf einer Linie, sogar beim Kurvenwechsel war deutlich zu erkennen, daß ich komplett wieder auf die Achse zurückgekehrt war. Dauer: 24 Sekunden. Also hatte ich in jeder Hinsicht völlig gerechtfertigt meine B-Scheinprüfung bestanden. Das feierte ich dann indem ich mir die erste warme Mahlzeit in Fischen gönnte: eine dicke fette Schweinshaxe.