Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

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  • Jürgen S.
    Registrierter Benutzer
    • 06.06.2001
    • 306
    • Jürgen Specht

    Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

    Das Trainieren des Wassergefühls gehört für Schwimmsportler zum Standardprogramm.
    Zitat von http://www.tri2b.com
    Das Wasser bietet uns im Gegensatz zur Luft einen viel höheren Widerstand. Diese Eigenschaft ermöglicht es uns erst, im Wasser voran zu kommen. Denn wir nutzen den Wasserwiderstand, um uns davon abzudrücken und Antrieb zu erzeugen. Gleichzeitig bremst uns der Wasserwiderstand und macht uns langsam. Verflixt, Antrieb und Widerstand sind demnach von den gleichen Faktoren abhängig. Man kann also nicht einfach den Antrieb erhöhen und den Widerstand reduzieren. Was nun?
    Link
    Luftsportler haben es da etwas schwerer: Luft ist unsichtbar, bietet einen viel geringeren Widerstand und ist daher schwerer zu erfühlen. Als Pilot kommt man eigentlich ganz gut zurecht, wenn man nach Vario fliegt und aktive Schirmkontrolle betreibt. Dennoch ist es für Flieger wichtig, ein gutes Luftgefühl
    • für die Gestalt einer Thermik zu haben, um möglichst hoch zu kommen
    • für einen günstigen Luftweg zu haben, um möglichst weit zu gleiten
    • für Aufwinde in der Nähe zu haben, um den nächsten Bart auch wirklich zu finden
    • ganz allgemein zu haben, um stets die richtige Pilotenreaktion abzurufen


    Bewegte Luft kann sein: Aufwind, Abwind, horizontaler Wind in der freien Atmosphäre, Wind vor oder nach Hindernissen, Talwind, Scherwinde, Winde im Bereich einer Inversion und vieles mehr. Luft kann auch tot, also ohne Bewegung sein. Man kann sie wahrnehmen, durch
    • Spüren des Fahrtwindes auf der Haut
    • Hören der Fluggeräusche
    • Wahrnehmen der eigenen Position und deren Veränderung im Raum (Raumsehen)
    • Spüren von Beschleunigung, Verzögerung, Sinken und Steigen (Gleichgewichtssinn)
    • Spüren des Feedbacks vom Gleitschirm: über die Bremsen (Hände), die Gurte bzw. das Sitzbrett (“Popometer“) und den Beschleuniger (Beine)


    Spüren des Fahrtwindes und Hören der Fluggeräusche
    Zum Fliegen gehört die passende Kleidung, z.B. ein Overall, Stiefel, Handschuhe und Helm. Da bleibt außer im Gesicht nicht viel Haut zum Fühlen frei. Das Fliegen mit nackter Haut ist keine sinnvolle Option, aber beim Kauf des Helms sollte man schon auf “Hören und Fühlen” können achten. Zum Ausprobieren kann man ja mal etwas von dem ganzen Kram weglassen.

    Raumsehen
    Das Raumsehen kann man durch bewusste Augenübungen trainieren. Meist reicht es aber, es einfach mal zu versuchen: entspannt in horizontale Flugrichtung schauen, ohne etwas zu fixieren und die Wahrnehmung auf das ganze Blickfeld richten.

    Feedback vom Gleitschirm
    Das System Pilot-Gleitschirm ist ein Pendel. Beide erfahren unterschiedlich viel Luftwiderstand, weswegen der Schirm bei Veränderungen des Luftwiderstands hinten hängen bleibt (Pilot pendelt nach vorne) bzw. nach vorne kommt (Pilot pendelt nach hinten).
    Gleitschirme sind unterschiedlich stark gedämpft und gestreckt. Je weniger Dämpfung und je mehr Streckung, desto mehr Feedback bekommt der Pilot.

    Feedback über die Bremsen
    Die Steuerschlaufen in den Händen verschaffen dem Piloten direkten Kontakt zur Schirmhinterkante. Er spürt die Veränderung der Zugkräfte. Günstig ist der direkte (Finger-)Kontakt zur eigentlichen Bremsleine.

    Feedback über das Gurtzeug
    Die Pilot sitzt oder liegt im Gurtzeug, das über die Karabiner mit den Gleitschirmgurten verbunden ist. Er spürt also Veränderungen wie z.B. einseitiges Anheben oder Absinken der Kappe. Dies umso mehr, je tiefer die Karabiner sind (Abstand der Karabiner vom Sitzbrett) und je weiter sie voneinander entfernt sind (Brustgurteinstellung). Veränderter Druck auf das Sitzbrett zeigt Steigen, Sinken oder auch Fliehkräfte an. Günstig ist eine gefühlsbetonte Sitzposition.

    Feedback über den Beschleuniger
    Der getretene Beschleuniger unter den Schuhsohlen verschafft dem Piloten indirekten Kontakt zur Schirmvorderkante. Er spürt die Veränderung der Zugkräfte.


    Natürlich kann man sagen, alles nur theoretisches Geblubber, das beste Training ist einfach viel Fliegen. Stimmt. Man braucht schon einiges an Routine, um freie mentale Kapazitäten für die Sinneswahrnehmungen der feineren Art zu haben. Wenigflieger mit stark gedämpften Schulungsgeräten werden es da wohl am schwersten haben. Für alle aber gilt: jeder kann sich immer noch weiter verbessern! Selbst Angelo D'Arrigo arbeitete daran und wollte gar zum Luftmolekül werden (siehe Das Geheimnis der Adler).

    Wer hat Erfahrungen in der Richtung und kann Trainingstipps geben?

    Danke und Gruss, Jürgen
  • Tobias S.
    Registrierter Benutzer
    • 03.06.2001
    • 2361
    • Tobias Schreiner
    • Tegernseer Tal

    #2
    AW: Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

    Tipps:

    - Vario abschalten. Schult die Raumorientierung über die optische Wahrnehmung und das Popometer.
    - Beim Groundhandling: Den Schirm mit geschlossenen Augen ruhig über sich halten, dabei möglichst wenige, dafür aber umso gezieltere Bewegungen ausführen.
    - Beim Helm muss man gesteigerte Sinneswahrnehmung gegen mehr Sicherheit abwägen. Dass man auch mit Vollvisierhelmen super fliegen kann, haben Alfredo Studer und Andre Bussmann oft genug bewiesen. Ich selbst fühle mich schon mit einem Helm, der meine Ohren abdeckt, um einen Sinn beraubt, entsprechend habe ich das Modell "Nussschale" gewählt und hoffe darauf, nicht aufs Kinn zu fallen.
    Zuletzt geändert von Tobias S.; 20.03.2007, 22:22.

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    • kaimartin
      Registrierter Benutzer
      • 27.07.2005
      • 610

      #3
      AW: Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

      Zitat von Tobias S.
      TIch selbst fühle mich schon mit einem Helm, der meine Ohren abdeckt, um einen Sinn beraubt, entsprechend habe ich das Modell "Nussschale" gewählt und hoffe darauf, nicht aufs Kinn zu fallen.
      Jo. Wenn ich immer so hören würde, wie mit meinem Fliegerhelm, würde ich mich schnellstens zum HNO-Artzt begeben. Durch die Hörlöcher kommt alles nur stark gedämpft an und gesteigerte Windgeräusche gibt es gratis dazu.
      Eigentlich sollte es doch möglich sein, einen Integralhelm mit großen Ohrenlöchern auszustatten. Gegen verstärkte Windgeräusche sollte es helfen, die Löcher mit poröser Folie abzudecken. Porös sollte sie sein, um den Schall möglichst wenig zu verzerren. Mag sein, dass große Löcher den Integralhem schwächen --- Sicherer als eine Salatschüssel ist er allemal, besonders für Kinn und Nase...
      ---<(kaimartin)>---

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      • makro
        Registrierter Benutzer
        • 20.09.2004
        • 1125
        • Markus Kroiß
        • Samerberg

        #4
        AW: Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

        Kann euch nur zustimmen. Neulich war ich mal nur mit Schirm, Bergsteigergurtzeug, Wollmütze und ohne Vario auf einen Abgleiter eingestellt. Es stellte sich ein anderes, freieres Fluggefühl ein...

        Ich hatte keine Erwartungen bezüglich der Flugdauer gestellt - es war 11 Uhr und eine Inversion war in Startplatzhöhe. Trotzdem fand ich mehrere kleinere Thermikquellen und flog ganz konzentriert aber relaxt. Dabei wurde mir wieder mal klar, daß das Feedback über das Gurtzeug und die Bremsleinen viel differenzierter Auskunft über die Luft gibt, als das Vario. Auch die Ohren freizuhaben, erstens vom ständigen Gepiepse und zweitens vom Integralhelm trug zu diesem neuerlebten Luftgefühl bei. Über die Ohren nimmt man nicht nur das Rascheln des Schirms, sondern auch Druckunterschiede wahr und man hört den Schirm anfahren...

        Diese Informationen können rationell gar nicht so schnell verarbeitet werden, dafür sind die erforderlichen Aktions/Reaktionzeiten zu kurz. Deshalb gefällt mir dieser gefühlsmäßige Ansatz sehr gut. Das Ziel wäre ein intuitiver Zugang zum Medium Luft wie ein Vogel. Die haben aber auch sicherlich evolutionsbedingt sinnestechnisch die besseren Setup's - wir aber mehr Hirn (zumindest einige von uns...) und können uns z.B. überlegen, wo der nächste Bart abreißen könnte und wie die Thermik aussieht. Was ich aber glaube bei dem Flug für mich entdeckt zu haben und was Jürgen auch schon mit seinem Ausdruck der 'freien mentalen Kapazität' angemerkt hat, ist die Erkenntnis daß oftmals gerade zuviel selbst auferlegter Leistungsdruck (u.a. die Angst vorm Absaufen) oder zuviel Überlegen diese Kapazitäten für die 'Sinneswahrnehmungen der feineren Art' belegen.

        Sicherlich braucht man dafür viel Zeit und ein Anfänger kann noch nicht intuitiv fliegen .. aber man steigert sich .. schalt das Vario ab und 'free your mind' - ab und zu wenigstens!

        gruß Markus

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        • Libelle
          Registrierter Benutzer
          • 26.03.2006
          • 666

          #5
          AW: Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

          Problem beim Popometer ist jedoch, dass es nur relative Veränderungen wahrnimmt. Von großem Sinken in kleineres Sinken fliegen fühlt sich an wie Steigen. Da man in der Luft keinen Bezugspunkt für die Augen hat, wenn man nicht gerade auf Baumhöhe rumkurvt, reicht auch die Optik nicht aus, um diese Fehlinterpretation auszuschliessen.

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          • Michael Bauer
            Registrierter Benutzer
            • 03.11.2003
            • 291

            #6
            AW: Flugtraining: Die Frage nach dem Luftgefühl

            Hallo!

            @Tobias:
            - Vario abschalten. Schult die Raumorientierung über die optische Wahrnehmung und das Popometer.
            Dieser Tipp wurde uns von einem Fluglehrer in der Schulung auch gegeben. Genauer: Er riet sogar, mit der Anschaffung eines Varios zu warten, bis man "ein Gefühl" für Thermik und Schirmverhalten gewonnen hat. Ich bin - was Anfänger anbetrifft - mittlerweile gegenteiliger Auffassung. Erst nachdem ich ein Vario hatte, fing ich an zu verstehen, was mit mir in der Luft gerade passiert.

            Deinen Rat halte ich zwar nicht für falsch, richtet sich aber meiner Überzeugung nach nicht an absolute Thermik-Neulinge.

            @Markus:
            Das Ziel wäre ein intuitiver Zugang zum Medium Luft wie ein Vogel. Die haben aber auch sicherlich evolutionsbedingt sinnestechnisch die besseren Setup's - wir aber mehr Hirn
            Das ist nur bedingt richtig. Ein Vogel hat (relativ zum Körpergewicht) mehr Kleinhirn als ein Mensch, und es ist gerade das Kleinhirn, das für Gleichgewicht und Bewegungskoordination zuständig ist. Ein Mensch hat mehr Großhirnrinde und vor allem mehr Frontallappen. Das heißt, er kann besser über das Fliegen reflektieren und sich über die Rezeption eines glücklich verlaufenen Gleitschirmunfalls in der deutschen Presse Gedanken machen. Ob das dem Fliegen dienlich ist, ist mehr als fraglich. Außerdem hat jede Bergdohle wahrscheinlich mehr Flugstunden als ein noch so ambitionierter XC-Pilot.

            Gruß, Michael

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