AW: Auftrieb durch die Massenträgheit der Luft
Hallo Steffen,
vielen Dank für Deine umfangreichen Einwände, zu denen ich gerne etwas sage.
Eine gute Gelegenheit, noch einmal Einiges zu verdeutlichen und auf Einiges hinzuweisen, insbesondere für jemanden, der offenbar nicht meinen gesamten Text gelesen hat.
Davon, dass Vettel und Co. nicht alle Details ihrer Technik kennen, wie z.B. die Rezepte der Reifenmischung, Betriebsgeheimnis der Reifenhersteller, war doch gar nicht die Rede, denn das ist doch wohl klar. Aber sie verlassen sich nicht nur auf ihre Fahrkünste, sondern kennen auch die Merkmale und Eigenschaften ihres Materials recht gut, geben Rückmeldung an die Techniker und äußern Vermutungen bzw. machen Vorschläge für Verbesserungen. Das können sie nur, wenn sie auch Interesse an der Mechanik etc. ihrer Sportgeräte haben und ein hohes Maß an technischen Kenntnissen. Und so ist es doch bei jedem sportlichen Wettbewerb mit technischem Gerät.
Die genaue und vollständige Beschreibung eines Strömungsfeldes mit seinen Kräften ist tatsächlich lange bekannt, nämlich seit 1843 in Form der Navier-Stokes-Gleichungen, siehe mein Beitrag #15. Sie nachzuvollziehen und sie vollständig zu verstehen, erfordert allerdings schon sehr fundierte physikalische und mathematische Grundkenntnisse.
Die Navier-Stokes-Gleichungen berücksichtigen alle Zustands- und Einflussgrößen eines auch reibungsbehafteten, kompressiblen und nicht stationären Strömungsfeldes, wie Druck, Geschwindigkeit, Dichte, Viskosität und Temperatur. Dieses nichtlineare Differentialgleichungssystem ist aber analytisch nicht lösbar, und numerisch nur mit weiteren Modellannahmen (z.B. Turbulenz-Modelle).
Ob es Effekte gibt, die gegenläufig wirken, ist dabei vollkommen irrelevant. Es soll lediglich die physikalische Realität mathematisch beschrieben werden. Und da spielt die Dichte, also die Masse pro Volumen, die entscheidende Rolle. Das drückt sich auch in der Reynoldszahl aus, dem Verhältnis Trägheitskräfte/Zähigkeitskräfte, die für Drachen und Gleitschirme etwa 100.000 beträgt.
In Deine sogenannte 'Alltagsfliegerei' eine vollständige Beschreibung der Auftriebsentstehung 'einfließen zu lassen', verlange ich doch gar nicht. Wie kommst Du denn darauf?
Auch ist selbstverständlich, dass Lehrliteratur (Du meinst wohl für die Ausbildung von Piloten) keine wissenschaftliche Literatur sein kann und sein sollte. Sie muss auf das für's Fliegen Wesentliche vereinfachen, darf doch aber ohne Not keine vollkommen falschen Vorstellungen vermitteln, die mit der Realität nichts zu tun haben, auch wenn das Bild (von dünnerer Luft aufgrund eines längeren Weges) noch so 'griffig' ist. Da ist mir doch die Hand im Fahrtwind mit der Vorstellung von aufprallender Luft schon wesentlich lieber.
Eine Formel zur Veranschaulichung des Auftriebs braucht man natürlich nicht, aber sie schadet auch nicht, insbesondere wenn sie so simpel ist, wie die für die Zentrifugalkraft. Sie ermöglicht in diesem Fall sogar, das Anschauungsmodell quantitativ auf Plausibilität zu prüfen.
Dass 'der Wettbewerbsflieger das vollständige Wissen um die Auftriebsentstehung benötigt' habe ich auch nicht gefordert. Gerade um Piloten, die mehr über eine brauchbare Vorstellung vom Auftrieb wissen wollen, ein Studium wissenschaftlicher Literatur zu ersparen, habe ich meinen Vorschlag hier im Forum angeboten. Ich selbst habe dazu allerdings einige wissenschaftliche Lehrbücher gelesen, siehe mein Beitrag #5.
Dann verlangst Du Belege dafür, dass 'meine Theorie besser geeignet ist als die 'Weglängentheorie' und somit für den Wettbewerbflieger interessant', nämlich:
(1) Die Erklärung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten über und unter dem Flügel.
(2) Die Erklärung des 'Kaffeelöffelexperiments'.
(3) Die Erklärung, 'warum eine Tragflächenstruktur in Glycerin keinen Auftrieb erzeugt'.
Erst einmal, warum sollten Deiner Meinung nach gerade diese Erklärungen eine Theorie für den Wettbewerbsflieger interessant machen?
Dennoch kann die Massenträgheit der Luft bzw. ihre Zentrifugalkraft am Flügel dazu selbstverständlich etwas sagen.
Zu (1): Die Erklärung findest Du in meiner Ausarbeitung im Kapitel 2.3 Druckfeld und Geschwindigkeitsfeld auf Seite 5.
Zu (2): Das 'Kaffeelöffelexperiment' habe ich erst durch googeln gefunden, im Lehrbuch 'Technische Strömungslehre, 1. Band, von Bruno Eck, Springer Verlag 1935'. Es geht darum, dass in einer Flüssigkeit erzeugte Wirbel, z.B. durch einen beschleunigten bzw. abgebremsten Kaffeelöffel, nach Beendigung dieser Energiezufuhr weiter kreisen.
Genau dieses Beharrungsvermögen liegt an der Massenträgheit. Erst durch die Reibung klingen die Wirbel ab und lösen sich schließlich auf.
Zu (3): Vermutlich spielst Du auf die im Vergleich zu Luft und auch Wasser und praktisch allen anderen Flüssigkeiten extrem bis unendlich hohe Viskosität von Glycerin an. Glycerin ist allerdings mit 1.260 kg/m3 auch schwer, sogar schwerer als Wasser.
Wenn ich also Glycerin durch eine bewegte angestellte Fläche nach unten beschleunigen kann, so muss als Gegenkraft eine Kraft nach oben entstehen. Dies wird aber möglicherweise durch die hohe Viskosität unterbunden (das Glycerin quillt an der Hinterkante gleich nach oben?). Die Reynoldszahl, siehe oben, ist wegen der hohen Viskosität sehr klein, bzw. die Trägheitskräfte sind im Vergleich zu den Zähigkeitskräften sehr gering. Also ebenfalls ein Beleg für die Massenträgheit eines Fluids als Ursache für Auftrieb: Ohne dominierende Trägheitskräfte kein Auftrieb.
Ich empfinde allerdings diese von Dir angeführte Ausnahme als eine für uns vollkommen irrelevante Spitzfindigkeit.
Plötzlich behauptest Du 'Dass die Erklärung über die Trägheit falsch sei, das sei nämlich leider ebenfalls bekannt!'.
Ganz oben dagegen erklärst Du, 'die genaue Beschreibung der Auftriebsentstehung ist längst gegessen', womit Du nur die Navier-Stokes-Gleichungen meinen kannst, in denen die Trägheit (bei üblichen Reynoldszahlen) die entscheidende Rolle spielt.
Schließlich versuchst Du noch mit der Rauchspur bei Air Races zu widerlegen, dass der Auftrieb durch die Umlenkung des Luftstroms entsteht. Du meinst 'die Rauchspur müsste dann brutal nach unten vom Flügel weggeblasen werden, wenn der Auftrieb auf das 10-fache erhöht wird. Das sei allerdings nicht der Fall.'
Der höhere Auftrieb entsteht durch eine stärkere Umlenkung des Luftstroms durch einen höheren Anstell- bzw. Anströmwinkel. Der Abstrom des Flügels, in dem die Rauchspur liegt, verläuft dagegen immer tangential zur Profilkontur.
Und hier noch weitere Erklärungen, die die Theorie der Umlenkung des Luftstroms bzw. der Zentrifugalkraft liefert, mit den Seitenangaben für meine Ausarbeitung:
- Abhängigkeit der Luftkraft vom Anstellwinkel, S.2.
- Abhängigkeit der Luftkraft von der Geschwindigkeit, S. 2.
- Bedeutung der Spannweite bzw. Streckung für die Luftkraft, S. 3 oben.
- Elliptische Auftriebsverteilung, S. 3 oben.
- Induzierter Widerstand, S. 3 oben.
- Bedeutung der Spannweite bzw. Streckung für die Gleitzahl, S. 3 mitte.
- 2/3 des Auftriebs entsteht über dem Flügel, 1/3 unter dem Flügel, S. 5 unten.
- Strömungsablösung, S. 6 mitte.
- Auftriebsverlust und Mitteneffekt durch Pfeilung, S. 7 unten.
Und das sind doch die Dinge, die uns Piloten interessieren.
Deine von Dir favorisierte 'Weglängentheorie' leistet dagegen gar nichts, nicht einmal die Abhängigkeit der Luftkraft vom Anstellwinkel und von der Geschwindigkeit.
Sie ist für mich ein Aberglaube, der Ahnungslosen lediglich das Gefühl von Wissen gibt, was zwar auch ganz schön ist, nur für die Praxis nichts taugt.
Aber ich habe den Eindruck, für Dich ist diese Theorie genau richtig.
Gruß, Bernhard
Hallo Steffen,
vielen Dank für Deine umfangreichen Einwände, zu denen ich gerne etwas sage.
Eine gute Gelegenheit, noch einmal Einiges zu verdeutlichen und auf Einiges hinzuweisen, insbesondere für jemanden, der offenbar nicht meinen gesamten Text gelesen hat.
Davon, dass Vettel und Co. nicht alle Details ihrer Technik kennen, wie z.B. die Rezepte der Reifenmischung, Betriebsgeheimnis der Reifenhersteller, war doch gar nicht die Rede, denn das ist doch wohl klar. Aber sie verlassen sich nicht nur auf ihre Fahrkünste, sondern kennen auch die Merkmale und Eigenschaften ihres Materials recht gut, geben Rückmeldung an die Techniker und äußern Vermutungen bzw. machen Vorschläge für Verbesserungen. Das können sie nur, wenn sie auch Interesse an der Mechanik etc. ihrer Sportgeräte haben und ein hohes Maß an technischen Kenntnissen. Und so ist es doch bei jedem sportlichen Wettbewerb mit technischem Gerät.
Die genaue und vollständige Beschreibung eines Strömungsfeldes mit seinen Kräften ist tatsächlich lange bekannt, nämlich seit 1843 in Form der Navier-Stokes-Gleichungen, siehe mein Beitrag #15. Sie nachzuvollziehen und sie vollständig zu verstehen, erfordert allerdings schon sehr fundierte physikalische und mathematische Grundkenntnisse.
Die Navier-Stokes-Gleichungen berücksichtigen alle Zustands- und Einflussgrößen eines auch reibungsbehafteten, kompressiblen und nicht stationären Strömungsfeldes, wie Druck, Geschwindigkeit, Dichte, Viskosität und Temperatur. Dieses nichtlineare Differentialgleichungssystem ist aber analytisch nicht lösbar, und numerisch nur mit weiteren Modellannahmen (z.B. Turbulenz-Modelle).
Ob es Effekte gibt, die gegenläufig wirken, ist dabei vollkommen irrelevant. Es soll lediglich die physikalische Realität mathematisch beschrieben werden. Und da spielt die Dichte, also die Masse pro Volumen, die entscheidende Rolle. Das drückt sich auch in der Reynoldszahl aus, dem Verhältnis Trägheitskräfte/Zähigkeitskräfte, die für Drachen und Gleitschirme etwa 100.000 beträgt.
In Deine sogenannte 'Alltagsfliegerei' eine vollständige Beschreibung der Auftriebsentstehung 'einfließen zu lassen', verlange ich doch gar nicht. Wie kommst Du denn darauf?
Auch ist selbstverständlich, dass Lehrliteratur (Du meinst wohl für die Ausbildung von Piloten) keine wissenschaftliche Literatur sein kann und sein sollte. Sie muss auf das für's Fliegen Wesentliche vereinfachen, darf doch aber ohne Not keine vollkommen falschen Vorstellungen vermitteln, die mit der Realität nichts zu tun haben, auch wenn das Bild (von dünnerer Luft aufgrund eines längeren Weges) noch so 'griffig' ist. Da ist mir doch die Hand im Fahrtwind mit der Vorstellung von aufprallender Luft schon wesentlich lieber.
Eine Formel zur Veranschaulichung des Auftriebs braucht man natürlich nicht, aber sie schadet auch nicht, insbesondere wenn sie so simpel ist, wie die für die Zentrifugalkraft. Sie ermöglicht in diesem Fall sogar, das Anschauungsmodell quantitativ auf Plausibilität zu prüfen.
Dass 'der Wettbewerbsflieger das vollständige Wissen um die Auftriebsentstehung benötigt' habe ich auch nicht gefordert. Gerade um Piloten, die mehr über eine brauchbare Vorstellung vom Auftrieb wissen wollen, ein Studium wissenschaftlicher Literatur zu ersparen, habe ich meinen Vorschlag hier im Forum angeboten. Ich selbst habe dazu allerdings einige wissenschaftliche Lehrbücher gelesen, siehe mein Beitrag #5.
Dann verlangst Du Belege dafür, dass 'meine Theorie besser geeignet ist als die 'Weglängentheorie' und somit für den Wettbewerbflieger interessant', nämlich:
(1) Die Erklärung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten über und unter dem Flügel.
(2) Die Erklärung des 'Kaffeelöffelexperiments'.
(3) Die Erklärung, 'warum eine Tragflächenstruktur in Glycerin keinen Auftrieb erzeugt'.
Erst einmal, warum sollten Deiner Meinung nach gerade diese Erklärungen eine Theorie für den Wettbewerbsflieger interessant machen?
Dennoch kann die Massenträgheit der Luft bzw. ihre Zentrifugalkraft am Flügel dazu selbstverständlich etwas sagen.
Zu (1): Die Erklärung findest Du in meiner Ausarbeitung im Kapitel 2.3 Druckfeld und Geschwindigkeitsfeld auf Seite 5.
Zu (2): Das 'Kaffeelöffelexperiment' habe ich erst durch googeln gefunden, im Lehrbuch 'Technische Strömungslehre, 1. Band, von Bruno Eck, Springer Verlag 1935'. Es geht darum, dass in einer Flüssigkeit erzeugte Wirbel, z.B. durch einen beschleunigten bzw. abgebremsten Kaffeelöffel, nach Beendigung dieser Energiezufuhr weiter kreisen.
Genau dieses Beharrungsvermögen liegt an der Massenträgheit. Erst durch die Reibung klingen die Wirbel ab und lösen sich schließlich auf.
Zu (3): Vermutlich spielst Du auf die im Vergleich zu Luft und auch Wasser und praktisch allen anderen Flüssigkeiten extrem bis unendlich hohe Viskosität von Glycerin an. Glycerin ist allerdings mit 1.260 kg/m3 auch schwer, sogar schwerer als Wasser.
Wenn ich also Glycerin durch eine bewegte angestellte Fläche nach unten beschleunigen kann, so muss als Gegenkraft eine Kraft nach oben entstehen. Dies wird aber möglicherweise durch die hohe Viskosität unterbunden (das Glycerin quillt an der Hinterkante gleich nach oben?). Die Reynoldszahl, siehe oben, ist wegen der hohen Viskosität sehr klein, bzw. die Trägheitskräfte sind im Vergleich zu den Zähigkeitskräften sehr gering. Also ebenfalls ein Beleg für die Massenträgheit eines Fluids als Ursache für Auftrieb: Ohne dominierende Trägheitskräfte kein Auftrieb.
Ich empfinde allerdings diese von Dir angeführte Ausnahme als eine für uns vollkommen irrelevante Spitzfindigkeit.
Plötzlich behauptest Du 'Dass die Erklärung über die Trägheit falsch sei, das sei nämlich leider ebenfalls bekannt!'.
Ganz oben dagegen erklärst Du, 'die genaue Beschreibung der Auftriebsentstehung ist längst gegessen', womit Du nur die Navier-Stokes-Gleichungen meinen kannst, in denen die Trägheit (bei üblichen Reynoldszahlen) die entscheidende Rolle spielt.
Schließlich versuchst Du noch mit der Rauchspur bei Air Races zu widerlegen, dass der Auftrieb durch die Umlenkung des Luftstroms entsteht. Du meinst 'die Rauchspur müsste dann brutal nach unten vom Flügel weggeblasen werden, wenn der Auftrieb auf das 10-fache erhöht wird. Das sei allerdings nicht der Fall.'
Der höhere Auftrieb entsteht durch eine stärkere Umlenkung des Luftstroms durch einen höheren Anstell- bzw. Anströmwinkel. Der Abstrom des Flügels, in dem die Rauchspur liegt, verläuft dagegen immer tangential zur Profilkontur.
Und hier noch weitere Erklärungen, die die Theorie der Umlenkung des Luftstroms bzw. der Zentrifugalkraft liefert, mit den Seitenangaben für meine Ausarbeitung:
- Abhängigkeit der Luftkraft vom Anstellwinkel, S.2.
- Abhängigkeit der Luftkraft von der Geschwindigkeit, S. 2.
- Bedeutung der Spannweite bzw. Streckung für die Luftkraft, S. 3 oben.
- Elliptische Auftriebsverteilung, S. 3 oben.
- Induzierter Widerstand, S. 3 oben.
- Bedeutung der Spannweite bzw. Streckung für die Gleitzahl, S. 3 mitte.
- 2/3 des Auftriebs entsteht über dem Flügel, 1/3 unter dem Flügel, S. 5 unten.
- Strömungsablösung, S. 6 mitte.
- Auftriebsverlust und Mitteneffekt durch Pfeilung, S. 7 unten.
Und das sind doch die Dinge, die uns Piloten interessieren.
Deine von Dir favorisierte 'Weglängentheorie' leistet dagegen gar nichts, nicht einmal die Abhängigkeit der Luftkraft vom Anstellwinkel und von der Geschwindigkeit.
Sie ist für mich ein Aberglaube, der Ahnungslosen lediglich das Gefühl von Wissen gibt, was zwar auch ganz schön ist, nur für die Praxis nichts taugt.
Aber ich habe den Eindruck, für Dich ist diese Theorie genau richtig.
Gruß, Bernhard
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