Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

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  • audacium
    Registrierter Benutzer
    • 27.11.2005
    • 285

    #46
    AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

    Servus Dani,


    an der Formel gibt es nix auszusetzen, da muß Mirko noch nachlegen . Der auf Eurer Seite angenommene Widerstandsbeiwert < 0,95 geht mE auch in Ordnung.

    Aber unabhängig davon finde ich die Frage schon interessant, wieso Eure nach LTF zugelassenen Rettungen nach der Formel die zulässige Sinkgeschwindigkeit nach LTF (bei maximaler Anhängelast / DHV Startgewicht) überschreiten. Bei der Orange L bspw. 8 m/s statt zulässigen 6,8 bzw. 7 m/s (scheint abhängig von der Version der LTF). Werden die Rettungen mit einem arbiträr niedrigeren Gewicht getestet? Wenn ja, warum? Mit welchem? Wenn nein, woher kommen die Diskrepanzen in den Ergebnissen?


    Merci.

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    • marcel1
      Registrierter Benutzer
      • 28.08.2007
      • 3934
      • Marcel

      #47
      AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

      Ob die Formel an sich stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber das glaube ich einfach mal.

      Das Problem ist eher, daß physikalische Formeln immer einen indealisierten Fall beschrieben und z.B. so Sachen wie Verwirbelungen, dynamisches Schaukeln u.ä. nicht wirklich erfassen. Die Formel beschreibt also weder eine Rundkappe mit Mittelleine noch überhaupt irgendeinen Fallschirm, sondern wohl eher einen idealisierten Körper, der keine Verwirbelungen erzeugt und nicht pendelt.

      Auch der Effekt eines noch "teiloffenen" Schirms ist da nicht erfaßt. Sprich Theorie und Praxis stimmen nicht immer 100% überein.

      Schaut man sich jetzt mal die unzensierte Tabelle der Schweizer an - von der wir natürlich auch nicht wissen, wie genau sie das gemessen haben und wie realistisch das war, aber man sagt den Schweizern ja immerhin Gründlichkeit nach - dann fallen mir da zwei Dinge auf:

      1) Rettungen mit gleicher ausgelegter Fläche / Belastung hatten teilweise um 50% unterschiedliche Sinkwerte. Insgesamt war nur eine ganz grobe Korrelation zwischen Flächenbeladung und Sinkrate erkenntlich.

      2) Stattdessen ist viel auffälliger, daß die Rettungen, die optisch stark pendelten, auch sehr starkes Sinken hatten. Fast egal wie großzügig die Fläche war.

      Das ist zwar kaum quantifizierbar, aber auch als qualitative Aussage schonmal was. Und den Rest müssen wir wohl mal selbst ausprobieren...
      Wenn es piept - eindrehen...

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      • abachtern
        Registrierter Benutzer
        • 13.11.2005
        • 624
        • Mirko

        #48
        AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

        Hallo,

        ich hatte ja geschrieben, dass die Formel vieleicht nicht das Wirbelringprinzip der Anular Rettung berücksichtigt.
        Der Widerstandsbeiwert (CW-Wert) ist ein Zahlenwert in der Formel. Richtig müsste es also heißen der CW-Wert ist pessimistisch angesetzt und die Formel liefert dadurch zu hohe Werte.

        Ich verstehe nicht warum man Sinkwerte berechnet, wenn man diese so einfach messen kann. Dazu kann man noch sehen ob der Retter pendelt.

        Gruß

        Mirko
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        • JHG
          Registrierter Benutzer
          • 16.02.2005
          • 3096
          • Sepp
          • n.a.

          #49
          AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

          Zitat von andsch
          Ich habe grade mal ein wenig gegoogelt.
          In der Team5schen Formel wird hier 0,9 als Cw Wert herbeigezogen.

          Eine Halbkugelschale besitzt anscheinend einen Cw Wert von 1,33 (Quelle: Wikipedia). Andre Quellen sagen sogar 1,4.

          Die Frage ist nun, ist der Wert 0,9 ein realistischer Wert für eine Gleitschirm-Rettungskappe?
          Die Formel an sich stimmt schon nur je nachdem was man für die Werte im Nenner einsetzt kann man sich das Ergebnis fast schon wünschen.

          Die Fläche zB. wird als Gesamtfläche (nicht die effektive bzw. projizierte Fläche) eingegeben was eigentlich unüblich in der Aerodynamik ist. Daraus ergibt sich auch der geringe Cw Wert, weil darin ein Formfaktor für die Umrechnung ausgelegte -> projizierte Fläche verwurschtet ist. Damit ist der Cw Wert aber nicht mehr vergleichbar ( die 1,33 aus Wiki beziehen sich ja auf die projizierte Fläche)
          Der Umrechnungsfaktor ist aber nicht angegeben und wohl für die diversen Retter am Markt auch nicht konstant.
          Auch die Luftdichte ändert sich ja bekanntermaßen mit der Höhe, auf 2000 Meter zB. wäre die Dichte rd. 20% geringer die Sinkgeschwindigkeit dadurch um 10% höher.

          Eventuelles Pendeln ist auch nicht berücksichtig. Pendeln würde ja eine mehr oder weniger periodische Änderung der projizierten Fläche und des Cw Werts bedeuten.

          Insgesamt erlaubt die Formel also eine Abschätzung der Größenordnung auf eine Stelle. Die Diskussion ob jetzt 5,8 oder 6,3 ist damit aber sicher nicht seriös zu entscheiden.

          Ich fühl mich jedenfalls mit Orensch ST unterm A* wohler ;-)
          Zuletzt geändert von JHG; 11.05.2010, 10:00.

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          • Thomas C
            Registrierter Benutzer
            • 09.09.2004
            • 1492
            • Austria!

            #50
            AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

            Zitat von JHG
            Ich fühl mich jedenfalls mit Orensch ST unterm A* wohler ;-)
            oder über dem kopf ;-)

            danke für die erhellenden worte, was du alles kennst ;-)

            -t

            Kommentar

            • JörgE
              Registrierter Benutzer
              • 14.05.2004
              • 676
              • Jörg
              • Pfälzer

              #51
              AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

              .... mir ist bei der "Überprüfung" der Formel vor meinem Urlaub (irgendwann im April) folgendes aufgefallen:

              Die Formel angewandt auf die normalen Orange führte zu deutlichen Differenzen zwischen den Werten auf der Homepage von Team5 und dem Rechenergebnis. Ich habe darauf hin eine Nachricht an Dani verfasst - weiß der Teufel wo die abgeblieben ist. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, ob ich sie vor oder nach dem Versenden gelöscht habe .... well.

              Auf jeden Fall habe ich gestern festgestellt, dass auf der Hompage von Team5 für die normalen Retter die Sinkwerte verschwunden sind. Das nenne ich bewundernswerte Konsequenz ! Nicht nur Reden auch dazu stehen. Es findet sich nur noch der Hinweis auf die Empfehlungen des DHV. Ich bin auf das angekündigte Video gespannt .....

              beste Grüße aus Heidelberg
              Jörg

              PS: einen Leichtretter werde ich mir für den Normalgebrauch angesichts der offenen Diskussion wohl nicht mehr zulegen .....

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              • tstreng
                Registrierter Benutzer
                • 25.08.2005
                • 274

                #52
                AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                Ich will den Vorteil einer Orange ST gar nicht anzweifeln und bin selbst interessiert.
                Es wundert und stört mich trotzdem sehr, dass anscheinend niemand richtig weiß was Sache ist.
                Mein Fazit soweit:
                1) Es leuchtet ein, dass bei sonst gleichen Randbedingungen eine größere Fläche langsamer sinkt als eine Kleine - auf der anderen Seite gibt es neben der Fläche wohl noch ne Menge andere EInflussfaktoren, so dass man nicht pauschal sagen kann, dass eine Rettung mit größere Fläche automatisch langsamer sinkt als jede andere mit kleinerer Fläche
                2) Es wird gesagt, dass viele oder einige Leichtretter "Probleme" hätten, aber nicht genau welche (z.B. im Fall der Inacse)und warum.
                3) Es wird gesgt dass Gütesiegel Sinktest nicht verläßlich / oder aussagekräftig sei. (Ist das wirklich so? Ist eine Sinkgeschwindigkeit so schwer zu messen?) Da gehe ich davon aus dass der Test für keine Rettung aussagekräftig ist, egal ob leicht/schwer/klein oder groß???
                4) Herstellerangabe würde ich tendenziel noch weniger vertrauen als Tests durch Dritte
                5) Vom Hersteller wird eine Formel und Werte genannt, dessen Ergebnis anscheinend nicht mit der Realität übereinstimmt
                6) Wenn eine Rettung trotz großer Fläche immer noch sehr leicht ist, dann muss irgendwie auch Gewicht eingespart worden sein. Wo und welche Auswirkungen hat das?
                7) die Möglichkeit einer Lenkbaren Rettung würde ich unabhängig von der Sinkgeschwindigkeit als weiteren Vorteil sehen, wenn ich dadurch keine anderen Nachteile hätte.

                Gesamtfazit: Ich weiß jetzt, das ich nichts weiß. Meine Leichtrettung soll nicht so gut sein-warum kann aber keiner genau sagen. Andere sollen besser sein, aber warum kann auch keiner so genau sagen, und Tests ala Gütesiegel sollen auch nicht so aussagekräftig sein.
                Also eine möglichst moderne, möglichst große Rettung kaufen und hoffen dass sie gut ist? Und eine schwere und hoffen , das schwer stabiler ist? Oder eine leichte große, weil leicht schneller auf geht?

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                • makro
                  Registrierter Benutzer
                  • 20.09.2004
                  • 1125
                  • Markus Kroiß
                  • Samerberg

                  #53
                  AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                  servus,

                  link aus dem paraglidingforum, apco nimmt den test als anlaß für produktwerbung: http://www.apcoaviation.com/news/new...y%20review.pdf

                  (im pdf sind auch die testtabellen nach verschiedenen parametern sortiert...)
                  Fazit: Es sind nicht alle leichtretter schlecht, bloß manche sind m.E. gefährlich obwohl sie Zulassung haben. Um einen 6,5 m/s (DHV-Wert) Aufprall unverletzt zu überstehen muß man fit und das Gelände entsprechend sein. Finde die 5,5m/s der EN da angebrachter. Rundkappen Sprungfallschirme haben jedenfalls eine wesentlich größere Fläche und sind sogar teils steuerbar.

                  Die Formel ist wahrscheinlich etwas pessimistisch ausgelegt, aber man erhält einen Überblick welchen Einfluß z.B. das Gewicht auf die resultierende Sinkgeschwindigkeit hat. Würde halt jetzt auch keinen 1kg Retter in's Streckengurtzeug reinbauen - allenfalls für Herbstwanderungen mit Leichtgurt finde ich diese sehr interessant.

                  Mit dem Test hat man wohl den Finger auf die Wunde gelegt, einige Hersteller untersagten sogar die Veröffentlichung!

                  Finde gut, daß Dani das hier nochmal anspricht. Kann nur unserer Sicherheit zugute kommen.

                  gruß
                  markus

                  Kommentar

                  • X-Dream Dani
                    Registrierter Benutzer
                    • 06.06.2001
                    • 2322
                    • Daniel Loritz
                    • Tscherlach / Walenstadt

                    #54
                    AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                    Hallo zusammen,

                    so, meine Produktion läuft zurzeit ohne dass ich jede Minute zur Stelle stehen muss und somit habe ich ein paar Minuten Zeit die versprochenen Erklärungen zu liefern.
                    Ich erlaube mir bei unserem „Adam und Eva“ zu beginnen. Vor gut eineinhalb Jahren haben wir die geschäftlichen Aktivitäten von Pepi Gasteiger übernommen, welche sich primär auf Rettungsgeräte-Bau und deren Vertrieb fokussiert haben. Ich muss zugeben, dass ich in Sachen Aerodynamik ebenso wenig weiß wie die meisten hier im Forum. Also aus dieser Sicht bin ich kein klassischer Aerodynamik Freak der sich zum Konstrukteur gemausert hat. Ich komme aus der Praxis und kann insofern Mirkos Haltung unter Vorbehalt verstehen.
                    Nun wir kamen also wie die Jungfrau zum….die Geschichte kennt ihr ja…wir mussten uns also mit dem Thema Rettungsgeräte auseinander setzen und da bei uns im Team eigentlich niemand so richtig Erfahrung hatte, haben wir uns Hilfe geholt. Christian Ulbrich ist für einer der wichtigsten deutschen Hersteller von Lastenfallschirmen und Recoversystemen tätig. Mann durchwegs sagen, dass man ihn im deutschsprachigen Raum zu den Top-Fachleuten in diesem Sektor zählen darf. Er ist selber leidenschaftlicher Gleitschirmpilot und somit hat sich die Verbindung schnell Entwickelt und wir pflegen heute eine enge Zusammenarbeit – er berichtet von Erfahrungen in seinem Bereich und ich gebe ihm meine neusten Details aus meinen Tests weiter.

                    Gut, in der Zwischenzeit haben wir den ST durchs GüSi gebracht, dies zwar vor der Unterstützung durch Christian und mittlerweile hat der ORANGE CROSS ebenso die wichtigsten Hürden des Gütesiegels (vielleicht sollte ich dieses Wort eher so schreiben: „Güte“-Siegel“) geschafft. Während dieser Entwicklungsarbeit haben wir uns auf der einen Seite theoretisch wie auch praktisch schnell weiter entwickelt. Insbesondere die unzähligen Tests unter realen Bedingungen (inkl. Mittelleinencut und provoziertem Retterfrass!!!) mit dem neuen CROSS haben sehr viel zur Verständlichkeit der verschiedenen Parameter beigetragen.

                    Nun gut, dies zu der Vorgeschichte.
                    Die hier von mir gemachten Aussagen, Details und Fakten basieren auf weltweit anerkannten Grenzwerten die sich während den letzten 70 Jahren aus ziviler und militärischer Fallschirmentwicklung heraus gebildet haben. Diese Werte werden an internationalen Fachsymposien von Fachleuten kommuniziert.
                    Ein klassischer Rundkappenschirm mit konischen Bahnen hat einen theoretischen Widerstandsbeiwert von 0,75 bis 0,92. Per Mitteleine eingezogenem Vent lässt sich dieser Wert um ca. 5% steigern. An welchem Ende dieser Widerstandsbeiwert-Spanne man sich befindet mit einem Retter, ist von weiteren Faktoren abhängig; Größe Kappenform, der Ventöffnung, Leinenlänge und natürlich auch die Porosität des Gewebes hat einen Einfluss. Die Luftdurchlässigkeit des Gewebes ist zum Teil auch das große Schlagwort in der Werbung von einzelnen Herstellern (dazu noch später mehr). Theoretisch erzielt man natürlich mit sogenanntem Null-Gewebe den besten Beiwert.
                    Jeder dieser oben genannten Faktoren hat auch eine zum Teil sensible Kehrseite. Je kleiner die Porosität des Gewebes desto höher die Pendelneigung. Eine tief gezogene Mittelleine führt zu dem gleichen negativen Nebeneffekt. Man könnte nun das Pendeln durch Gegenmaßnahmen wiederum in den Griff kriegen, längere Leinen – ergeben jedoch längere Öffnungszeiten und mehr Gewicht (und Kosten) oder ein größerer Vent würde auch helfen, nur reduziert sich damit der Beiwert wider.
                    Ein stabiler Sinkflug einer Rundkappe ist gar nicht so einfach zu erzielen. Die Grundlage dafür liegt beim so genannten Abblasen. Jeder Notschirm der keine Vorwärtsfahrt beschreibt, sprich nicht gleitet, sollte so symmetrisch wie möglich abblasen. Dies kann über das Gewebe passieren (eben hohe Porosität), durch das Vent (je grösser desto stabiler der Sinkflug) und/oder über den Basisrand. Daraus lässt sich schnell eine Tatsache eruieren die bei den aktuellen Kleinrettern sensibel tangiert wird. Diese Kleinretter werden meist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln an die Grenzen des Möglichen gebaut, sprich Null-Gewebe bei tiefem und kleinem Vent und möglichst kurzen Leinen. Dieser Mix ist extrem anfällig auf Pendeln. Pendeln ist ein Phänomen welches durch wechselseitiges Abblasen über den Basisrand erzeugt wird und meist eigenstabil wirkt da die Kappe durch das Pendeln sich zusätzlich deformiert und das Pendeln verstärkt oder zumindest eigenstabil hält.

                    Christian schrieb mir auf diese Tatsache hin folgenden Satz:

                    „International anerkannte Fallschirm-Experten gehen deshalb folgerichtig davon aus, dass aufgrund dieses Verhaltens PRAKTISCH kein Beiwert größer als 0,75 - 0,85 möglich ist.“

                    Unter dem Strich lässt sich daraus klar sagen dass jeder Versuch den theoretischen Widerstandsbeiwert zu „Verbessern“ das seitliche Abblasen und damit die Pendelneigung verstärkt und somit in der Praxis den Beiwert und den damit verbundenen Sinkwert verschlechtert. Praktisch alle Maßnahmen gegen das Pendeln (Änderung der Konstruktion oder des Materials) erhöhen wiederum die Sinkgeschwindigkeit.

                    Ein schönes Rechenbeispiel will ich an dieser Stelle ebenfalls von Christian zitieren:

                    „Die Sinkgeschwindigkeit von Fallschirmen lässt sich überschlägig nach folgender Formel ermitteln:

                    v_sink = sqrt((Mass * g_0 * 2) / (rho_air * s_0 * C_d0))

                    Wenn wir nun einen Piloten mit 100 kg Gesamtgewicht an einem FB Turbo stop 100 unter Normbedingungen in Meereshöhe bei Windstille und dem theoretisch erreichbaren Widerstandsbeiwert von 0,95 einsetzen, dann erhalten wir einen Sinkwert von glatt 7 m/s.
                    Wenn wir etwas realistischer an die Sache herangehen, dann liegt der Widerstandsbeiwert bei 0,8 (siehe oben), die Landung erfolgt z.B. in 600 m
                    über NN bei warmer Luft und wir haben einen Seitenwind von 3 m/s. Nun erhalten wir eine Landegeschwindigkeit von 9 m/s. Wenn er nun noch mit 1 m/s seitlich pendelt, summiert sich das vektoriell hinzu, so dass du im ungünstigsten Fall von einer Aufschlagsgeschwindigkeit von über 10 m/s ausgehen kannst. Das entspricht einem Sprung aus mehr als 5 m Höhe.
                    Zum Vergleich die Herstellerangabe: 4,9 m/s. Das entspräche zurückgerechnet einem effektiven Widerstandsbeiwert von 2,0!!! Also mehr als das Doppelte des aktuell als absolutes Maximum geltenden Grenzwertes für diesen Fallschirmtyp. Technisch-Physikalisch unmöglich.“


                    In militärischen Anwendungen wird davon ausgegangen, dass bei einer Landegeschwindigkeit von mehr als 6m/s schwere Verletzungen wahrscheinlich sind, wenn der Landefall nicht beherrscht und konsequent angewendet wird. Aus diesem Grund wird die US-Rettungskappe T-10R mit 42qm und Auslegung für 90kg Gesamtgewicht durch eine deutlich größere Kappe ersetzt.
                    Ich muss jedoch zu diesem Thema auch sagen, dass wir während unseren Tests stehende Landungen von über 7m/s gemacht haben. Die waren zwar unter idealen Bedingungen, sprich weiche und flache Wiese, kein Wind und entsprechende Vorbereitung. Ich würde sogar behaupten, dass ein normal sportlicher Mensch unter diesen Traum-Bedingungen sogar 8m/s ohne Verletzung überstehen kann. Daher sehe ich in einer leicht erhöhten Sinkgeschwindigkeit keine Tragik zumal in den Messwerten die verbleibende Hauptkappe nicht berücksichtigt wird. Jedoch 5,5m/s Sinken zu bewerben und dies bei einem rechnerischen Beiwert von über 2 ist moralisch mehr als Verwerflich!

                    Zu den zum Teil haarsträubenden Werbeaussagen von vereinzelten Herstellern:
                    Angepriesene 4,9m/s Sinken und dies bei 32,5qm sind schlicht eine Frechheit! Aber dass Dyneemaleinen dazu beitragen sollen eine schnellere Öffnung zu gewährleisten ist fachlicher Schwachsinn und lässt entsprechende Rückschlüsse auf die Kompetenz des Herstellers ziehen. Leider sind genau solche Retter an meinen Trainings immer häufiger anzutreffen. Ich frage mich wie solch ein Produkt in unserer Szene überhaupt gehandelt werden kann. Ist es der Preis (im konkreten Fall nicht), die Marge (kenn ich nicht) oder die gute Reputation des Herstellers (kann ich mir nach einer kurzen Google-Session auch nicht vorstellen, da auch szenebekannt)? Einen sicheren Rückschluss lässt sich auf jeden Fall daraus ziehen; unser Handel hat ebenso wenig eine Ahnung von der Materie wie es die Hersteller zu haben scheinen!

                    Nun, es wurde mir ja bereits intensiv vorgeworfen, dass ich meine Schleichwerbung hier zu bunt platziere. Auf der anderen Seite muss ich auch mich als Hersteller und Händler verteidigen, denn ich schließe mich irgendwie (mindestens aus Solidarität) ein. Auch wir haben bis vor kurzem utopische (zumindest was die Rundkappen betrifft) Sinkwerte angepriesen. Auch wir haben so ein 1,4kg-mit-105kg-Zulassung-Teil (ist noch ein Überbleibsel aus Pepis Zeiten) in unserem Programm. Unsere klassischen Retter (ORANGE M, L und TWO) sind im Verhältnis (zumindest subjektiv) technisch hoch antik (naja, immerhin haben sie einen modernen Schnitt und zwei unterschiedliche Gewebe in der Kappe für ein modernes Abblasen über den Top-Ring) und sie sind mit über 2kg Gewicht faktisch nicht mehr konkurrenzfähig. Aber die Hoffnung schwindet ja bekanntlich zuletzt und man kann es kaum glauben aber die Dinger erleben eine Widergeburt! Die Nachfrage steigt und wir haben seit langer Zeit Ebbe im Lager!
                    Ihr seht, auch ich (wir) stehe/n im Clinch. Auf der einen Seite wollen/müssen wir solche Dinger verkaufen. Die sollten natürlich modern und konkurrenzfähig sein - die Mittbewerber kommen mit solchen Mikro-Rettern und verstecken sich schützend hinter einem Gütesiegel. Was würdet ihr tun, an unserer Stelle?

                    Die Frage wie solch ein Missstand entstehen kann ist auch für mich nicht vollumfänglich zu erklären. Ich meine ich weiß, dass einige Hersteller mit 20, ja sogar 30 Rettern zum GüSi gehen und derjenige mit dem besten Messwert wird in Serie gehen. Dass genau dieser Retter per Zufall eine leichte Asymmetrie aufweist und dadurch nicht wechselseitig abbläst, sondern symmetrisch auf eine Seite und dadurch ins Gleiten kommt, das wird vermutlich nicht geprüft. Ebenso wenig wird die Tatsache, dass ein am Pilot verbleibender Schirm extreme Einwirkung auf den Retter haben kann, ungeprüft bleibt. Brave 1er mit großer Eintrittskantenöffnung und gedämpftem Profil kann im offenen Zustand ein „down-plane“ erster Güte erzeugen (siehe das Video, das ich die nächsten Tage hier einstelle). Wie wird das Verhalten bei unruhiger Luftmasse geprüft (anstoßen des Pendel)? Wie wird grundsätzlich gemessen (beim DHV weiss ich es per Zufall – hinter einem Messwagen)? Wer prüft die Einhaltung der Serienproduktion? Dies ist ein heißes Eisen, denn unter EN-Siegel nicht geregelt, zumindest nicht gesetzlich verpflichtend (wie das ganze EN 12492 nicht ist!).
                    Da sind aus meiner Sicht einfach zu viele Unbekannt die, ich muss es zugeben, auch im Schweizer Test Fragen aufwerfen.

                    Verwunderung ruft in mir vor allem die Tatsache hervor, dass beim Protektor-Debakel ein Aufruhr war, der in unserer Szene bis Dato noch nicht erlebt wurde. Köpferollen bei der DHV-Spitze wurde gefordert und dies weil ein konkurrenzierender Prüfbetrieb die Messwerte als falsch einschätzte (der Beweis dafür kam erst deutlich später). Bei den Rettern da tut sich die Szene offensichtlich schwerer den Missstand zu erkennen, denn es ist bestimmt bequemer den soeben erworbenen Notschirm als das aktuelle Leistungsmass zu sehen als die Tatsache, dass man viel Geld für ein Unding ausgegeben hat und dies wenn möglich noch in der Schule des Vertrauens („der Fluglehrer kann gar nicht falsch liegen denn er hat mir einen super Preis gemacht“). Diese frustrierende Selbsterkenntnis lastet schwer auf dem Gemüt und die Tatsache, dass das Ding ja so schön klein und leicht ist, macht die Trennung auch nicht wirklich leichter….

                    Nun, auf der einen Seite ist es nun schon später geworden als erhofft und trotzdem ist noch nicht alles gesagt was zu sagen wäre. Ich muss auch zugeben, dass auch mein Wissen beschränkt ist. Was ich jedoch auf jeden Fall weiß ist die Tatsache, dass sich die Verletzungshäufigkeit nach Retterabgängen in meinem Umfeld massiv gestiegen ist und die Tatsache, dass bei allen mir konkret bekannten Vorfällen solche Kleinstretter im Spiel waren, entlastet die Sachlage auch nicht wirklich. Ebenso beweisbar (wenn auch mit aufwändigem Videomaterial durchsuchen verbunden) ist die immer häufigere negative Erfahrung nach Retterabgängen am Siku. Aus all diesen Tatsache, Erfahrungen und Erkenntnissen heraus habe ich mir vorgenommen gegen diesen falschen Trend in unserer Szene vorzugehen. Eine Möglichkeit dafür ist das Posten in diesem Forum, eine Andere ist das bauen von besseren Rettern und vielleicht gelingt mir ja eine vernünftige Kombination aus Gewicht und Leistung!

                    Ich wünsche euch eine gute Nachtruhe!

                    Dani

                    TEAM 5
                    Zuletzt geändert von X-Dream Dani; 11.05.2010, 23:03.
                    Dani

                    X-Dream Fly


                    "Anderssein ist kein Defekt!", Markku Wilenius

                    Kommentar

                    • audacium
                      Registrierter Benutzer
                      • 27.11.2005
                      • 285

                      #55
                      AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                      Merci, Dani, gehaltvoll und ehrlich. Ich finde Deine Stoßrichtung völlig richtig und wünsche Dir viel Erfolg.

                      Kommentar

                      • hob
                        Registrierter Benutzer
                        • 03.11.2004
                        • 956
                        • n.a.

                        #56
                        AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                        Ich schließe mich Audacium an.

                        Das ist doch mal ein richtig guter und ehrlicher Schriftsatz, mit dem man sich auseinandersetzen kann.

                        Also ist ein Retterschirm auch auf eine "gesunde" (Durch-) Strömung angewiesen, die das Schwallen über den Rand hinaus nicht aufkommen läßt und somit das dadurch folgende Pendeln durch wechselseitige Reaktionen gar nicht erst anregt.

                        In dieser Deutlichkeit hat das noch niemand formuliert.

                        Wenn man dann als auf km/h "geeichter" Normalbürger noch weiß, daß die Werte in m/s - mit 3,6 multipliziert - die Sinkgeschwindigkeit in km/h ergeben, wird das Ganze noch griffiger.

                        Danke Dani für diesen erhellenden und umfassenden Beitrag.

                        Gruß hob
                        Zuletzt geändert von hob; 12.05.2010, 07:55. Grund: "in" hinzugefügt

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                        • tstreng
                          Registrierter Benutzer
                          • 25.08.2005
                          • 274

                          #57
                          AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                          Ich schließe mich dem Danke an - sehr interessant Dani und es beinhaltet für mich einige Erklärungen/gute Infos.

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                          • WA
                            Registrierter Benutzer
                            • 12.05.2006
                            • 4097
                            • wolfgang apel
                            • Ravensburg

                            #58
                            AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                            Zitat von audacium
                            Ich finde Deine Stoßrichtung völlig richtig und wünsche Dir viel Erfolg.
                            Da schließe ich mich auch gerne an Dani. Es braucht solche "Wachrüttler" in unserer Szene.

                            Gerade vor drei Tagen meine zweite "Schwer"-Rettung für "kleines" Geld verkauft.
                            Argument des Käufers: Heut will alles Leicht-Retter, das drückt den Preis!

                            OK, das wird sich dann aber bald wieder ändern!

                            WA
                            Grüßle,
                            Wolfgang http://www.dgf-fn.de/

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                            • El Zorro
                              Registrierter Benutzer
                              • 28.12.2001
                              • 3339
                              • Nähe Freiburg ( D )

                              #59
                              AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                              Hallo Dani! Sehr gelungene Stellungnahme bzw. Abhandlung! Das gehört nun allerdings auch in die Fachzeitschriften!

                              Du hast Recht.
                              Beim Protektor wurde damals ein riesen Wind gemacht. Das aber hauptsächlich, weil der DHV sich befremdlich verhalten hat; anstatt zu prüfen erstmal pauschal seine ( nachträglich nicht als korrekt erwiesenen ) Messmethoden verteidigt hatte.

                              Diesmal ist der Wind darum ( noch ) nicht so gross, dafür hast Du jetzt mit diesem Beitrag sicher einiges aufgewirbelt

                              Hierin sehr ich mehr Sicherheitsgewinn, als in sämtlichen Siegeln.
                              Nur durch Leute, die nicht locker lassen statt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, gibt es Fortschritt!


                              Bernd

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                              • Andy1983
                                Registrierter Benutzer
                                • 13.08.2007
                                • 177
                                • Engelberger Tal

                                #60
                                AW: Die neuen Rettungsgeräte: Leicht und gut?

                                Wieso gibt es eigentlich keine musterprüfungen oder Gütesiegel für Rettungen. Man könnte doch ähnlich den Gleitschirm klassen auch sowas für die Rettungen machen. Wär doch in zukunft en schöner vergleich um nicht allen herstellern blind vertrauen zu müssen!

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