AW: Was würde Deiner Meinung nach die Drachenflugszene beleben?
Hallo Bernhard,
ich stricke mal Deine Argumente weiter.
Was Du zu "Awareness" schreibst, läuft auf eine Kombination von Medienecho und Nachahmbarkeit hinaus. Die diversen Internet-Kanäle und sozialen Medien machen heute die Verbreitung eines Trends sowohl leichter als auch schwerer. Einerseits ist ein Desinteresse der "großen Medien" kein Hemmschuh mehr. Andererseits gibt es eine Unzahl von anderen um Aufmerksamkeit konkurrierenden Themen und Aktivitäten.
Mit "Cage" meinst Du einen stromlinienförmigen Kokon, oder? Wenn das für sich genommen zu einer Verdoppelung der Gleitzahl führen würde, würde ich dafür einige Nachteile in Kauf nehmen. Ich vermute aber, dass eine aerodynamisch optimierte Verkleidung eher 20% oder weniger bringt. Wir haben ja noch andere Dauerbremsen eingebaut -- Verspannung, Schränkung, raue Segeloberfläche, suboptimales Profil... Dein "Semistarrer" geht in eine ähnliche Richtung. Er nutzt neue technische Mittel, um die Gleitzahl ein Stück zu verbessern. Allerdings ist die Gleitzahl nicht der eine, alles überstrahlende Parameter. Sonst würden schon seit zwanzig Jahren nur noch Atosse in der Luft zu sehen sein.
Bleibt also das "etc". Ich hätte dazu ein-zwei verrückte Ideen im Angebot:
1) Schwungfedern statt Segelflächen.
Eine vom Wind gefüllte Segelfläche versucht immer das Gestell zu biegen. Das Gestells muss steif genug dagegen halten, damit der Flügel nicht seine Form verliert. Bei einem aus Federn aufgebauten Flügel treten solche Biegebelastungen grundsätzlich nicht auf. Das müsste Spielraum für andere Optimierungen geben -- leichtere Rohre, klein zerlegbar, ...
2) Nick-Achse instabil.
Eine der wichtigsten Prüfungen des DHV auf dem Testwagen soll eine ausreichende Stabilität um die Nick-Achse garantieren. Das hat zur Folge, dass wir problemlos die Hände von der Basis nehmen können. Diese Stabilität wird erreicht durch eine Kombination aus Pfeilform und Schränkung des Flügels. Beides wirkt sich nachteilig auf die Gleitleistung aus. Außerdem sind Schränkung und Pfeilform der Grund dafür, dass eine gute stehende Landung ein genaues Timing braucht. Man muss durch eine Phase hindurch, in der die Mitte des Flügels schon deutlich weniger trägt, die Flügel-Enden aber maximalen Auftrieb haben. Der Drachen "will" seine Nase nach unten nehmen.
Ohne Pfeilform und Schränkung bei weiterhin "normalem" Profil ist der Flügel instabil um die Nick-Achse. Das ist die Konfiguration, mit der praktisch alle Vögel fliegen. Es wird üblicherweise gesagt, dass das für uns Menschen wegen zu langsamer Reflexe unmöglich ist. Ich meine, das das nicht notwendigerweise stimmt. Es fängt damit an, dass ein Drachen gut zehnmal größer ist als ein typischer Vogel. Entsprechend langsamer sind die benötigten Reaktionen. Außerdem sind wir biologisch vorprogrammiert, uns mit komplexen Bewegungen in Balance zu halten -- wir nennen das "gehen" und "stehen". Dass wir diese Fähigkeit auch auf völlig andere Bewegungen übertragen können, sieht man am Fahrradfahren. Jetzt muss "nur noch" ein Weg her, die Nickachse so leicht zu steuern wie einen Lenker am Fahrrad.
Ein besonderer Bonus wäre das Landen. Im Grunde muss man dafür nur dem nick-instabilen Flügel erlauben, nach oben hoch zu klappen. Er drückt sich sozusagen selber raus. Ein besonderes Timing sollte dafür nicht nötig sein.
3) Rollen mit Flügelverschränkung und Winglets.
Ohne Pfeilung kann der Auftrieb durch eine durchgehendes, gerades Rohr aufgenommen werden. Wenn dieses Rohr bei etwa 1/4 Flügeltiefe verläuft, bewirkt der Auftrieb nur wenig Drehmoment im Träger. Wenn nun die beiden Seiten des Rohrs gegeneinander verdreht werden, ergibt sich ein deutliches Rollmoment. Anders als beim Flexi muss man dafür kein nennenswertes Drehmoment aufwenden. Rollen wäre so leicht und effektiv wie beim Segelflugzeug.
Es gibt allerdings ein Problem: Mehr Auftrieb bedeutet auch mehr Widerstand und das dreht den Flügel in die "falsche" Richtung. Segelflieger korrigieren das mit dem Seitenruder am Schwanz. Und Beutegreifer drehen ihren breit aufgefächerten Schwanz entgegen der gewünschten Kurve. Ein Schwanz beißt sich leider mit einem Fußstart am Berghang. Und das sollte ein Drachen schon können. Im Moment denke ich, dass senkrechte Steuerflächen an den Flügelenden das Gegensteuern übernehmen können (Winglets). Wenn sie sich durch dem Fahrtwind nach innen drehend anpassen können, aber nach außen blockiert sind, passiert dieses Gegensteuern sogar automatisch. Wenn die Winglets zusätzlich manuell bewegt werden können, dann kann man alle drei Achsen steuern.
4) Mehr als nur Arme
Ein Flexi oder Starrer wird eigentlich nur über die Arme gesteuert. Unsere stärksten Muskeln sitzen aber in den Beinen, den Füßen und in Bauch und Rücken. Idealerweise sollten diese Muskelpartien beteiligt sein. Das gilt besonders für die ständige Aufgabe der Nick-Steuerung. Als Neben-Effekt könnte ich mir vorstellen, dass man sich direkt mit dem Flügel verbunden fühlt - vielleicht wie ein Exo-Skelett.
Die Ideen hängen teilweise voneinander ab. Zum Beispiel ist die Flügelverschränkung nur dann mechanisch leicht zu realisieren, wenn es durch einen Aufbau mit technischen Federn keine dramatischen Querspannungen im Flügel gibt.
Insgesamt ergibt sich ein Fluggerät, dass sich doch deutlich von den bekannten Drachen unterscheidet und es gibt keine Garantie, dass es keinen Show-Stopper gibt - wie gesagt, es sind verrückte Ideen... Aber mal angenommen, das alles funktioniert tatsächlich. Dann wäre dieser Drachen in Bezug auf Gleitleistung erstmal nicht viel besser. Wenn man das will, landet man wohl unweigerlich bei Segelflugzeugen. Aber die verrückten Ideen würden den Drachen sehr viel besser steuerbar machen als das, was wir jetzt haben. Echter Kunstflug wäre möglich. Starts wären weniger Böen-anfällig. Landen wäre häufiger ein Nicht-Ereignis. Ich denke, die Aussicht darauf könnte "die Drachenflugszene beleben".
Genug geträumt. Ihr dürft mir jetzt erzählen, warum das alles nicht funktionieren kann...
---<)kaimartin(>---
Hallo Bernhard,
ich stricke mal Deine Argumente weiter.
Was Du zu "Awareness" schreibst, läuft auf eine Kombination von Medienecho und Nachahmbarkeit hinaus. Die diversen Internet-Kanäle und sozialen Medien machen heute die Verbreitung eines Trends sowohl leichter als auch schwerer. Einerseits ist ein Desinteresse der "großen Medien" kein Hemmschuh mehr. Andererseits gibt es eine Unzahl von anderen um Aufmerksamkeit konkurrierenden Themen und Aktivitäten.
Mit "Cage" meinst Du einen stromlinienförmigen Kokon, oder? Wenn das für sich genommen zu einer Verdoppelung der Gleitzahl führen würde, würde ich dafür einige Nachteile in Kauf nehmen. Ich vermute aber, dass eine aerodynamisch optimierte Verkleidung eher 20% oder weniger bringt. Wir haben ja noch andere Dauerbremsen eingebaut -- Verspannung, Schränkung, raue Segeloberfläche, suboptimales Profil... Dein "Semistarrer" geht in eine ähnliche Richtung. Er nutzt neue technische Mittel, um die Gleitzahl ein Stück zu verbessern. Allerdings ist die Gleitzahl nicht der eine, alles überstrahlende Parameter. Sonst würden schon seit zwanzig Jahren nur noch Atosse in der Luft zu sehen sein.
Bleibt also das "etc". Ich hätte dazu ein-zwei verrückte Ideen im Angebot:
1) Schwungfedern statt Segelflächen.
Eine vom Wind gefüllte Segelfläche versucht immer das Gestell zu biegen. Das Gestells muss steif genug dagegen halten, damit der Flügel nicht seine Form verliert. Bei einem aus Federn aufgebauten Flügel treten solche Biegebelastungen grundsätzlich nicht auf. Das müsste Spielraum für andere Optimierungen geben -- leichtere Rohre, klein zerlegbar, ...
2) Nick-Achse instabil.
Eine der wichtigsten Prüfungen des DHV auf dem Testwagen soll eine ausreichende Stabilität um die Nick-Achse garantieren. Das hat zur Folge, dass wir problemlos die Hände von der Basis nehmen können. Diese Stabilität wird erreicht durch eine Kombination aus Pfeilform und Schränkung des Flügels. Beides wirkt sich nachteilig auf die Gleitleistung aus. Außerdem sind Schränkung und Pfeilform der Grund dafür, dass eine gute stehende Landung ein genaues Timing braucht. Man muss durch eine Phase hindurch, in der die Mitte des Flügels schon deutlich weniger trägt, die Flügel-Enden aber maximalen Auftrieb haben. Der Drachen "will" seine Nase nach unten nehmen.
Ohne Pfeilform und Schränkung bei weiterhin "normalem" Profil ist der Flügel instabil um die Nick-Achse. Das ist die Konfiguration, mit der praktisch alle Vögel fliegen. Es wird üblicherweise gesagt, dass das für uns Menschen wegen zu langsamer Reflexe unmöglich ist. Ich meine, das das nicht notwendigerweise stimmt. Es fängt damit an, dass ein Drachen gut zehnmal größer ist als ein typischer Vogel. Entsprechend langsamer sind die benötigten Reaktionen. Außerdem sind wir biologisch vorprogrammiert, uns mit komplexen Bewegungen in Balance zu halten -- wir nennen das "gehen" und "stehen". Dass wir diese Fähigkeit auch auf völlig andere Bewegungen übertragen können, sieht man am Fahrradfahren. Jetzt muss "nur noch" ein Weg her, die Nickachse so leicht zu steuern wie einen Lenker am Fahrrad.
Ein besonderer Bonus wäre das Landen. Im Grunde muss man dafür nur dem nick-instabilen Flügel erlauben, nach oben hoch zu klappen. Er drückt sich sozusagen selber raus. Ein besonderes Timing sollte dafür nicht nötig sein.
3) Rollen mit Flügelverschränkung und Winglets.
Ohne Pfeilung kann der Auftrieb durch eine durchgehendes, gerades Rohr aufgenommen werden. Wenn dieses Rohr bei etwa 1/4 Flügeltiefe verläuft, bewirkt der Auftrieb nur wenig Drehmoment im Träger. Wenn nun die beiden Seiten des Rohrs gegeneinander verdreht werden, ergibt sich ein deutliches Rollmoment. Anders als beim Flexi muss man dafür kein nennenswertes Drehmoment aufwenden. Rollen wäre so leicht und effektiv wie beim Segelflugzeug.
Es gibt allerdings ein Problem: Mehr Auftrieb bedeutet auch mehr Widerstand und das dreht den Flügel in die "falsche" Richtung. Segelflieger korrigieren das mit dem Seitenruder am Schwanz. Und Beutegreifer drehen ihren breit aufgefächerten Schwanz entgegen der gewünschten Kurve. Ein Schwanz beißt sich leider mit einem Fußstart am Berghang. Und das sollte ein Drachen schon können. Im Moment denke ich, dass senkrechte Steuerflächen an den Flügelenden das Gegensteuern übernehmen können (Winglets). Wenn sie sich durch dem Fahrtwind nach innen drehend anpassen können, aber nach außen blockiert sind, passiert dieses Gegensteuern sogar automatisch. Wenn die Winglets zusätzlich manuell bewegt werden können, dann kann man alle drei Achsen steuern.
4) Mehr als nur Arme
Ein Flexi oder Starrer wird eigentlich nur über die Arme gesteuert. Unsere stärksten Muskeln sitzen aber in den Beinen, den Füßen und in Bauch und Rücken. Idealerweise sollten diese Muskelpartien beteiligt sein. Das gilt besonders für die ständige Aufgabe der Nick-Steuerung. Als Neben-Effekt könnte ich mir vorstellen, dass man sich direkt mit dem Flügel verbunden fühlt - vielleicht wie ein Exo-Skelett.
Die Ideen hängen teilweise voneinander ab. Zum Beispiel ist die Flügelverschränkung nur dann mechanisch leicht zu realisieren, wenn es durch einen Aufbau mit technischen Federn keine dramatischen Querspannungen im Flügel gibt.
Insgesamt ergibt sich ein Fluggerät, dass sich doch deutlich von den bekannten Drachen unterscheidet und es gibt keine Garantie, dass es keinen Show-Stopper gibt - wie gesagt, es sind verrückte Ideen... Aber mal angenommen, das alles funktioniert tatsächlich. Dann wäre dieser Drachen in Bezug auf Gleitleistung erstmal nicht viel besser. Wenn man das will, landet man wohl unweigerlich bei Segelflugzeugen. Aber die verrückten Ideen würden den Drachen sehr viel besser steuerbar machen als das, was wir jetzt haben. Echter Kunstflug wäre möglich. Starts wären weniger Böen-anfällig. Landen wäre häufiger ein Nicht-Ereignis. Ich denke, die Aussicht darauf könnte "die Drachenflugszene beleben".
Genug geträumt. Ihr dürft mir jetzt erzählen, warum das alles nicht funktionieren kann...
---<)kaimartin(>---
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